Horatio VI/2

Horatio schrieb:

Wir hier auf dem Land, wir sind hier einfache Leute. Deswegen weiß ich nicht, ob ich mich immer treffend ausdrücke, aber ich will mein bestes tun. Ich habe da eine These, dass jedes Lebewesen, wenn es vor ein neues Problem gestellt wird, welches in seinem bisherigen Fundus an Problemlösungsschemata noch nicht vorgekommen ist, erstmal immer instinktiv auf den selben angeborenen Problemlösungsversuch zurückgreift.

Wer Nager in Käfigen hält, wird zum Beispiel festgestellt haben, dass sie als erstes jedes neue Problem durch Nagen zu lösen versuchen. Der Nager darf ausnahmsweise mal aus dem Käfig raus und findet prompt einen Elektrokabel. “Erst mal nagen!” denkt der Nager … “Bbrrrrzzzzzzzzzzttppffffffompp!” und die Sicherung fliegt raus.

Wer Pferde hat, wird wissen, dass sie jedes Problem durch Kacken lösen wollen. Anders lassen sich diese Mengen an Mist die sie produzieren einfach nicht erklären. Pferde scheinen jeden Tag jede Menge neue Probleme zu haben.

Oder Hector, der 2,28 m große andere Bruder von Nic, der löst jedes Problem erst mal durch einen Faustschlag ins Gesicht (nicht etwa in sein eigenes, obwohl es so aussieht) und indem er eine Person am Fußknöchel mit dem roten Kopf nach unten hält und diese kräftig schüttelt, während er die ganze Zeit “Was hassu gesacht? Was hassu gesacht?” brüllt. Leider ist Hector nicht nur schwerhörig sondern auch schwer von Begriff, so dass es ziemlich oft passiert, dass er vor ein neues Problem gestellt wird.

Man kann auch sagen, das eigentlich jemand anderes dann vor ein neues Problem gestellt wird, nämlich der Geschüttelte (nicht der Gerührte). Aber das bestätigt nur meine These, da die betreffende oder betroffene Person auf ihr Problem fast immer mit schrillen unartikulierten Schreien und “Hilfe! Hilf mir doch jemand! Lass mich bitte runter!” reagiert.

Nic und ich waren jetzt auch vor ein neues Problem gestellt. Wir hatten das Öppa-Problem.

Und siehe – auch wir reagierten, wie wir schon immer auf neue Probleme reagiert hatten: “Horatio, ist der Apfelmost schon soweit?”
“Jau!”
“Na, dann man tau!”
“Höhöhöhö, jajajaja!”
“Nicht für dich Öppa!”

Öppa reagierte auf dieses für ihn neue Problem, indem er versuchte mit seinem Stock unsere Nasen zu treffen. Da er in jungen Jahren ein ziemlich guter Maulwurfgolfer gewesen sein soll, kostete es uns einige Mühe seinen gut gezielten Schlägen auszuweichen. Vielleicht war es auch nur ein heftiger Parkinson-Anfall. Als er seinen Stock schließlich nach uns warf, war er jedoch dieser Waffe beraubt. “Und weg isser!” feixte ich.

“Öppa kacka!” war seine lapidare Antwort.
Mist! Öppa ist wirklich mit allen Wassern gewaschen. Entweder bekam er sofort seinen Stock zurück um alleine zur Toilette stolpern zu können, oder wir hätten ein neues “Neues Problem”. Ein siegesgewisses “Höhöhöhö, jajajaja!” war aus der Deel zu hören, als er zum Klo wankte. Nicht ohne aus Versehen dabei gegen die ein oder andere zeitgenössische Landschaftsdarstellung in Öl aus dem 18. Jahrhundert zu fallen, die sich seit Generationen im Familienbesitz befinden.

Die erste Runde ging also an Öppa

Mein früherer bester Kumpel, Hamlet der Bürgermeister von Dannekenhoog, hat mich gelehrt, dass Rache süß ist. Als wir schließlich wieder zu dritt am Tisch saßen, wobei Nic und ich unter Öppas verdrießlichem Blick die Qualität des Mosts testeten, nahm ich Anlauf zur Gegenattacke.

“Wie geht es eigentlich Deiner Frau, Öppa?”
“Höhöhöhö, jajajaja!”
“Sie’s aber doud.” sagte ich.

Darauf begann Öppa zu weinen. Nic sah mich etwas strafend an, aber ich war noch nicht fertig. Öppa schien einen seiner wacheren Momente zu bekommen, schnäuzte in die Tischdecke und brabbelte “Sie hat stets dem Kaiser treu gedient!”

“Der’s auch doud!” war meine Antwort.

Jetzt fing er erst mal richtig an zu heulen. Alzheimer sei Dank war Öppa nicht lange traurig, aber er hatte mitbekommen, dass die zweite Runde an mich gegangen war. Das ärgerte ihn sichtlich und es war nicht dem Tourette-Syndrom zuzuschreiben, dass er einen Regen übelster Schimpfwörter über mich ergehen ließ.

“Öppa! Das muss nicht sein!” sagte ich. “Denk an die Kinder!” Netter Versuch, aber Nic erkannte leider meinen Täuschungsversuch nicht sofort und meinte:
“Kinder? Hier gibt es keine Kinder.”
“Nun, die … Mäusekinder! Die Kinder von den Mäusen könnten es hören!”
“Davon gibt es hier nicht viele, wegen der Katzen.”
“Dann die … Maulwurfskinder. Ja, die könnten es hören. Das ist gar nicht gut für junge Maulwurfskinderseelen und die Entwicklung.”
“Maulwurfgolfen ist aber auch nicht gut für die Entwicklung von denen.”
“Ja, aber hier geht es ums Prinzip. Schau, die Kirche sieht das genauso, man kann zwar Leute verbrennen, aber deswegen sollte man trotzdem die Worte des Bösen von ihnen fernhalten.”
“Horatio, erstens hast Du mit der Kirche wenig am Hut. Zweitens ist das ewig lange her, dass hier jemand im Namen der Kirche verbrannt wurde. Bestimmt … zwanzig Jahre. Oder so.”

Die dritte Runde ging also wieder an Öppa. Hier saßen Nic und ich und stritten uns tatsächlich. Man sollte die Kampferfahrung so eines alten Hasen (Hasen sind Nager. Wenn er doch nur wie ein Nager versuchen würde, seine Probleme zu lösen …) niemals unterschätzen. Ist der Gegner dir zweifach überlegen, zieh dich in eine gut zu verteidigende Position zurück oder, falls du auf offenem Feld kämpfen musst, versuche den Gegner zu spalten.

Jedenfalls waren wir bis dahin einige Tassen Most weiter, aber unser Öppa-Problem war nicht gelöst – wie es übrigens den meisten Lebewesen nach dem ersten Problemlösungsversuch ergeht. Dann muss man unausweichlich kreativ werden.

Nic hatte endlich – wie immer – die rettende Idee. “Wie wär’s wenn wir alle zusammen mal Horatios alten Freund Hamlet in Dannekenhoog besuchen gehen?”

“… und dabei Öppa zufällig dort für ein paar Tage vergessen.” dachte ich und war mir dabei sicher, dass Nic und ich wie so oft dasselbe dachten.

Ich sagte: “Prima! Dann kommen wir alle ein bisschen an die frische Luft und Öppa kommt mal unter andere Leute!”

Zustimmend erklang ein “Höhöhöhö, jajajaja!”

Zwei diabolische Blicke trafen sich etwa über der Mitte des Küchentisches.

Fortsetzung folgt

3 Comments

  • Markus sagt:

    Bin gerade zum ersten Mal in diesem Blog, auf den meine kleine Schwester mich hingewiesen hat, und kann nur sagen: Thanks, little sister.
    Habe mir alle `Briefe von Horatio`durchgelesen und dabei vor lachen gebrüllt. Meine Freundin ist auch total begeistert und wir werden unsere Freunde auf diese Seite verweisen. Die Stories sind klasse und total gut geschrieben, man kann sich die Geschichten regelrecht bildlich vorstellen.
    Bitte noch ganz viel mehr davon. Ich will wissen, wie es mit dem Öppa-Problem weiter geht und was mit H.B. geschieht. Oder ist der jetzt endgültig weg? Ich hoffe nicht, denn jeder von uns kennt doch Nachbarn, die man einfach nicht leiden kann. Das kann man so schön auf H.B. übertragen. Ich jedenfalls warte schon voller Vorfreude nund Spannung auf weitere Geschichten vom Lande.
    Nochmals, Kompliment an den Schreiber. Du hast da meiner Meinung nach echt eine super Story gestartet.

  • Nicole sagt:

    Ich fänd`s auch toll, das ganze gedruckt in Händen zu halten. Dann könnte ich weiter und weiter lesen. Andererseits hat man so ein Buch irgendwann ausgelesen, da hat so ein Blog doch den unbestreitbaren Vorteil, dass er immer weiter geführt werden kann. Also weiterschreiben, ich freu mich schon auf ganz viele Fortsetzungen.

  • Dirk Sönke sagt:

    Moin, Moin, …ich weiß ja nicht, ob man das ganze lieber drucken oder verfilmen sollte, mußte irgendwie gerade beim lesen and die “klimbim” Familie denken… sehr schöne Filme die da im Kopf entstehen… Macht weiter so !

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