“Es geht immer darum, Menschen aufzurichten” – Interview mit Tami Neilson

Tami Neilson Live

In Neuseeland ist Tami Neilson vielleicht die wichtigste Vertreterin der heimischen Country- und Rockabilly-Szene und auch der sonst eher zurückhaltende Rolling Stone feierte das 2018 erschienene “Sassafrass” mit satten 5 Sternen. Wer die stimmgewaltige Powerfrau und ihre brilliante Band die letzten Tage auf ihrer Deutschlandtour erlebt hat, weiß auch, woher diese Begeisterung kommt. Mit uns sprach Tami Neilson vor Ihrem Konzert in München über ihre aktuelle Scheibe,  Gleichberechtigung im Musikbusiness und die Möglichkeit, als Frau auf der Bühne anderen Frauen Kraft zu geben.

RR: Dein neues Album klingt anders als die letzten. Woher kommen die vielen Soulelemente?

Tami Neilson: Ich wurde gefragt, ob ich ein extra Konzert für das Jazz- und Bluesfestival der ChristChurch Cathedral spielen könnte, die bei dem Erdbeben 2011 zerstört worden war – in der Ersatzkirche, der Cardboard Kathedral. Dabei sagten die Organisatoren zu mir: Du kannst machen, was du willst, aber wir hätten sehr gerne etwas gospelhaftes.

Eine komplette Gospelshow kann aber polarisieren. Deshalb fragte ich: Kann ich ein Konzert darüber machen, wie Gospelmusik zu Rock’n’Roll wurde? Schließlich gäbe es Rock’n’Roll, Pop- und Soulmusik ohne Gospel kaum. Am Ende habe ich Songs von Sister Rosetta Tharpe, Mavis Staples, Howling Wolf, Ray Charles, Sam Cooke und Aretha Franklin gespielt, Künstler die mit Gospel angefangen haben, bevor sie zu Rock’n’Roll übergegangen sind. Diese Songs zu singen, hat mich sehr inspiriert, einmal musikalisch, weil sie so bedeutend sind und so einen großen Stimmumfang verlangen und dann auch, weil so viel Überzeugung und Kraft in ihnen steckt. Ich glaube, das hat mein Songwriting für Sassafrass auf natürliche Weise beeinflusst. Deshalb sind auch so viele Soul- and Gospeleinflüsse auf dem Album.

RR: Hat es auch damit zu tun, dass diese Musik besonders gut zu den Texten auf Sassafrass passt?

Tami Neilson: Für dieses Album wollte ich eine Person verkörpern, die mit viel „Sass“ davon singt, als Frau stark, mutig und selbstbewusst zu sein. Und ich glaube, das tendiert automatisch in eine Soulrichtung.

“Es geht nicht nur um Dich”

RR: Wie du schon angesprochen hast, handelt dein neues Album von Gleichberechtigung und Emanzipation. Warum dieser thematische Überbau gerade jetzt? Gab es dafür einen Anstoß?

Tami Neilson: Es sind drei Dinge passiert: Ich habe einen Elternteil verloren, meinen Vater, ich wurde selbst Mutter und ich wurde 40.

Alle diese Dinge verändern deine Perspektive auf das Leben und machen dir deine Sterblichkeit bewusst. Wenn du älter wirst und selbst Kinder bekommst, denkst du mehr an die Welt, die du für deine Kinder hinterlassen wirst. Es geht nicht nur um dich. Und wenn du einen Elternteil verlierst, realisierst du, dass du kein Kind mehr bist. Du musst jetzt selbst erwachsen sein.

Plötzlich werden dann Ängste, was andere Menschen über Dich denken, viel weniger wichtig. Du entscheidest Dich, zu sagen, woran du wirklich glaubst. Weißt Du, ich habe zwei kleine Jungen und hoffe, dass dieses Album, wenn sie in meinem Alter sind, komplett bedeutungslos ist, weil Frauen dann gleichberechtigt behandelt werden.

RR: Wurdest du auch von aktuellen politischen Themen beeinflusst oder war der persönliche Anstoß entscheidend?

Tami Neilson: Ich war nie, was man einen politischen Künstler nennen würde. Ich glaube, dass Bürgerrecht und Menschenrechte etwas Persönliches sind. Allerdings hat die Tatsache, dass jemand wie Donald Trump als amerikanischer Präsident so viel Macht hat, Auswirkungen auf die ganze Welt. Es ist alles sehr viel instabiler geworden. Es fühlt sich an, als entwickeln wir uns wieder zurück, verlieren die Fortschritte, die wir schon gemacht haben.  Das ist sehr entmutigend für die Menschen, die so hart dafür gekämpft haben, gleichberechtigt behandelt zu werden. Alle Minderheiten und Frauen, die das Gefühl hatten, sie müssen so viel härter kämpfen, um wie alle anderen behandelt zu werden. Ich glaube, das ist „the perfect storm“.

 

“Sie spielen immer weniger Frauen in Countrysendern”

RR: Du hast wahrscheinlich auch als Frau in der Musikszene eine Menge Machogehabe und Chauvinismus erlebt? Wie ist es als Frau in der Countryszene und Musikszene allgemein. Ist es immer noch so viel härter?

Tami Neilson: Unglücklicherweise ja. Weißt du, wir glauben gerne, dass wir in dieser Hinsicht weit gekommen sind. Aber es ist erst ein paar Monate her, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Billboard Charts in den Top Twenty der Country Music Charts keine einzige Frau vertreten war. Frauen werden weniger und weniger gespielt. Seit mehr als einem Jahr stand keine Frau in den Country Charts auf Nummer Eins.

Vor einigen Jahren wurde ein sehr mächtiger Radioberater mit den Worten zitiert: Wenn du ein erfolgreicher Countryradiosender sein willst, musst du die Frauen rausnehmen. Männer sind die Salatblätter im Salat und Frauen die Tomaten. Auf diese Äußerung gab es zwar viel Widerspruch. Aber seitdem spielen sie immer weniger Frauen im Country Musik Radio. Obwohl Kacey Musgraves und Brandi Carlisle erst kürzlich so viele Preise gewonnen haben. Es sind nicht die Leute, es ist das Radio. Diese Statistiken treffen auf jedes Genre zu, aber in der Country Music ist Radio immer noch immens wichtig. So wirst du bekannt, so bekommst du deine Fanbase, Festival Slots. In anderen Genres greifen Leute auf andere Art auf Musik zu, zum Beispiel über Streaming Platforms.

RR: Und wie ist es in Neuseeland?

Tami Neilson: In Neuseeland gibt es nicht viel Country Musik und auch keine Countrysender. Allerdings war auf dem größten Festival des letzten Sommers keine einzige Frau im Line-up. Aber das trifft auf die ganze Welt zu. Manche Webseiten zeigen Festivalposter in zwei Versionen– zuerst in ihrer ursprünglichen Version und dann ohne die männlichen Künstler und dann bleibt wenig übrig. Es gibt mittlerweile Initiativen wie Keychange und Festivals, die sich verpflichten, männliche und weibliche Künstler im gleichen Verhältnis auf die Bühne zu bringen und es ist toll, dass Leute die Situation als Problem erkennen und etwas dagegen tun. Schließlich ist es hart genug, als Musiker deinen Lebensunterhalt zu verdienen, unabhängig davon wer du bist, aber wenn du eine Frau bist, wird es noch härter.

 

“In meiner Show geht es darum, Menschen Kraft zu geben”

RR: Glaubst du, dass du als Musikerin und mit Deinen Texten einen Einfluss hast, etwas verändern kannst, vor allem dann, wenn es keine Sprachbarriere gibt?

Tami Neilson: Ich glaube, du hast sogar trotz Sprachbarrieren Einfluss. Letzte Nacht in Berlin kam eine Frau nach dem Konzert zu mir, die sagte: „My English is not good, but my heart gets so big watching you as a woman.“ Konzertbesucher spüren die Zuversicht und die Kraft von einer Frau auf der Bühne, die andere Frauen feiert. In meiner Show geht es gar nicht darum, irgendjemand auszuschließen oder niederzumachen, sondern darum, Menschen Kraft zu geben, ihnen Wertschätzung und Liebe zu vermitteln und sie zu inspirieren.

Eine andere Frau kam zu mir und sagte: “Ich bin seit Kurzem alleinerziehende Mutter, mit einem neun Monate alten und einem 4 Jahre alten Kind und die letzte Zeit war wirklich hart. Aber Dich heute abend zu sehen, hat mir Kraft gegeben.” Das ist eines der schönsten Dinge, die Du hören kannst, dass Du jemanden aufgerichtet hast.

Eine meiner größten Heldinnen ist Mavis Staples. Sie hat immer für etwas gekämpft, aber sie strahlt nur Freude und Liebe aus, kombiniert mit einer stillen Kraft. Und das ist es, was ich hoffe, dass ich auch tue. Es geht immer darum, Menschen aufzurichten, die sich unterdrückt oder wertlos fühlen.

RR: Du singst ja auch über Sharon Jones. Das ist wahrscheinlich ebenfalls ein gutes Beispiel für eine starke Frau, oder?

Tami Neilson: Oh ja. Sie hat allen Hindernissen getrotzt. Man hat ihr gesagt: Du bist zu klein, zu fett, zu alt, zu schwarz. Sie war 50, als sie ihren Durchbruch hatte. Mein Tributsong für sie auf diesem Album heißt Miss Jones.

Ich glaube wirklich, es gibt nicht genug Songs von Frauen über andere Frauen. Mein Song für Sharon Jones ist wie ein Liebesbrief, der von Bewunderung und Respekt handelt – über eine Frau, die mich inspiriert hat hat. Ich denke, es sollte mehr solcher Songs geben. Ich habe gerade die Arbeit an meinem nächsten Album fertiggestellt und auf diesem ist ein Song mit dem Namen „Sister Mavis“.

RR: Wie sieht es , um nochmal auf Rockabilly zu sprechen zu kommen, mit Wanda Jackson aus?

Tami Neilson: Ich glaube, nur dadurch, dass sie Wanda Jackson in den 50ern war, hat sie den Weg für andere Frauen bereitet. Sie war unglaublich. Ich habe sie vor ein paar Jahren getroffen und ich bin jetzt besonders froh darüber, nachdem sie kürzlich ihren Rückzug erklärt hat. Sie ist wirklich klein und zierlich und sie kam mit einer unglaublichen Gehhilfe, die mit Strasssteinen verziert war, auf die Bühne. Ihre Enkelin half ihr, sich auf einen Stuhl zu setzen. Jeder im Publikum dachte: Oooh, sie ist so alt und gebrechlich. Dann fing sie zu singen an. Und diese Stimme hatte sich nicht verändert. Sie hat immer noch alle umgehauen. Sie nach der Show zu treffen, war ein absolutes Highlight.

RR: Ganz zum Schluss: Wie verhält es sich mit deinen Outfits? Du verwendest Outfits, um etwas auszudrücken?

Tami: Oh ja. Das Kleid, das ich auf dem Cover von Sassafrass trage , ist ist inspiriert von den Nudie Suits, die Nudie Cohn für Countrystars entwarf. Eine Designer- und Künstlerin in Wellington hat die Lederpatches handgemalt. Sie symbolisieren alle verschiedene Songs auf dem Album. Insgesamt befinden sich auf dem Kleid 3000 Strasssteine, nicht ganz genug, aber es muss erst einmal reichen. (lacht)

Viel von dem was ich trage, ist zunächst einmal ein Ausdruck der Ära, die ich liebe, die Mode der 50er- und 60er. Ich denke, das ist, was auch viele eurer Leser fühlen, dass diese Mode Teil ihrer Identität ist. Und ich glaube, dass etwas Subversives darin steckt, dass ich in der Mode der 50er- und 60er über Gleichberechtigung und die Kraft von Frauen singe.