Horatio XI

RocknRoll will never die

Horatio schrieb:

H.B.’s Frau kommt vorbei 

Gestern Nachmittag schlugen die Wachgänse an. Nic und ich saßen gerade in der Küche und überprüften die Qualität verschiedener in diesem Jahr aufgesetzter Frucht und Kräuterliköre.

Der Winter war dieses Jahr sehr früh gekommen, die Welt draußen leuchtete weiß und im Prinzip waren wir eingeschneit. Das bedeutet bei uns, dass wir sozusagen von der Umwelt abgeschlossen sind. Man könnte auch sagen, die Welt war von uns ausgeschlossen. 

Wer immer sich also dem Hof näherte, konnte dies nur sehr langsam tun. Der Fichtennadellikör war ausgezeichnet, wir nahmen noch ein paar davon und dachten wir könnten uns Zeit lassen, aber ein Brummen wurde immer lauter, der Boden begann leicht zu beben und draußen brach ein Tumult los. Man hörte wildes Geschnatter, Gefauche und mehrmals ein Geräusch, wie wenn man mit einem Kantholz auf ein Blechdach schlägt. 

Wir nahmen unsere Flinten von der Wand um nachzusehen. Draußen stand mit laufendem Motor eine Kettenfahrzeug und hinter dem Kabinenfenster sahen wir den Kopf von H.B.’s Frau, was schon für sich allein nichts gutes verheißen konnte. Dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen schien sie irgendwas zwischen verärgert und ängstlich zu sein. Warum sie ärgerlich war, konnte ich nicht sagen, aber ihre Angst war verständlich, da sich die Wachgänse auf das Fahrzeug gestürzt hatten und gerade versuchten, es in ein 3-D Puzzle zu verwandeln.

Wotan und Napoleon hatten bereits die Scheinwerfer eingeschlagen und versuchten nun gewaltsam den Motorraum zu öffnen, vermutlich um Leitungen zu zerbeißen. Oben an der Fahrerkabine hackten Brutus und Mohammed auf den Kopf von H.B.’s Frau ein, den sie aber nicht trafen, weil die Fensterscheiben dazwischen waren – zumindest bis jetzt noch. Insgesamt sah die Karosserie der Raupe ziemlich verbeult aus. 

Der Motor lief immer noch und weil er ziemlich laut war schrie ich zu Nic rüber: “Die müssen mal in die Gänseschule, die Gänse! Das geht nicht, dass die sofort jeden anfallen!”

Nic schrie “Das sind keine schwulen Gänse und den Rest habe ich nicht verstanden!”

Inzwischen hatte Wotan eine Ecke der Motorklappe aufbiegen können und eine betriebswichtige Leitung zerbissen, was wir daran merkten dass es “BBRRRZZZZZZZ!” machte und daran, das der Motor absoff. Dann bellte Nic: “Aus und zurück auf Euren Platz!” worauf hin Napoleon, Brutus und Mohammed widerwillig von dem Fahrzeug abließen und wütend schnatternd in Richtung Gänsehütte watschelten. Kurz danach folgte taumelnd Wotan, dessen Federn in alle Richtung abstanden und aus dessen Gänsehintern es rauchte.

Ich wiederholte “Die müssen in die Gänseschule!”

Nic schüttelte den Kopf “Sie erkennen und mögen halt keine schlechten Menschen.”

H.B.’s Frau versuchte die Kabinentür zu öffnen, was ihr mit einiger Mühe auch gelang. Durch die Attacke der Wachgänse hatte sich der wahrscheinlich der Rahmen verzogen. Vorsichtshalber ließen wir die Flinten mal weiter im Anschlag.

Sofort ließ sie irgendwelche Schimpftiraden auf uns herab: “Schweine! Mein Mann…große Beule…Außerirdische…Schweine!…immer Ärger mit euch…so ein guter Mann…schon damals…immer gesagt…Schweine!…mein Mann…ganz durcheinander…Regenbogen…Pferdewagen…jetzt auch noch Raupe kaputt…Schweine! Schweine! Schweine!”

“Arme verwirrte Frau!” raunte Nic mir zu “kann nicht mal Schweine und Gänse auseinanderhalten.” Dann zu H.B.’s Frau, ohne die Flinte herunterzunehmen: “Lange nicht gesehen. Kannst Dich darauf verlassen, dass die Freude ganz auf Deiner Seite ist. Können wir Dir helfen? Gibt’s vielleicht irgendein Problem mit euren Schweinen?”

“Ihr habt vier Pferde und einen Karren von uns. Mein Mann hat mir erzählt, dass ihr sie haben müsst. Die will ich wiederhaben!” jetzt war sie schon eher verständlich. Ich selbst konnte mich nicht an der Konversation beteiligen, da ich wie hypnotisiert auf die rosa Lockenwickler starren musste, die sich aus ihrem wirren Haarschopf zu lösen begannen.

“Hammer nich’!” antwortete Nic lapidar “Dein Mann tut zuviel Fliegenpilz ins Obergärige!”

“Das werde ich jetzt und hier feststellen!” stellte H.B.’s Frau fest, doch der Schuss den Nic direkt vor ihre rosa Plüschpartoffeln platzierte, stellte sicher, dass sie genau dort blieb wo sie gerade stand!

“Was guckst Du so erschreckt?” meinte Nic zu mir “Ich hab sie doch nicht getroffen.”

“Ihr Nachthemd…” stammelte ich.

“Was ist damit?”

“Es ist rosa.”

“Und?”

“Es hat Rüschen.”

Nic schüttelte sich und sagte: “Ich weiß. Es gibt Dinge im Leben, die man lieber nie gesehen hätte. Aber die Buddhisten sagen, dass das Leben halt Leiden bedeutet.”

“Ich wusste nicht, dass sie recht haben.”

“Dass ihr auf mich schießt, ist der Beweis! Ihr wollt nicht, dass ich unsere Pferde und den Wagen hier finde!” schrie H.B.’s Frau.

“Normalerweise hat hier auf dem Hof niemand was zu suchen und erst recht hat hier keiner rumzuschnüffeln.” entgegnete Nic “Aber wir haben nichts zu verbergen. Wenn Du willst kannst Du unseren Hof inspizieren.”

H.B.’s Frau wollte sich gerade bewegen, als Nic einen weiteren Schuss vor ihre Füße abgab.

“Moooooment! Was haben wir denn davon?”

“Was habe ich davon?” Diese zeitlose Frage gibt es seit es Bauern gibt. Es ist fraglich, ob es überhaupt Bauern gäbe, hätte man diese wichtige Frage nie gestellt. Ursächlich gibt es Bauern nur, weil sich irgendwann in grauer Vorzeit einmal jemand diese Frage gestellt hat. Ein Jäger oder Sammler stellte sich genau diese Frage hinsichtlich dem Sinn von Ackerbau und Getreidelagerung und beantwortete sie mit: “Ich habe davon ein längeres Leben, denn ich habe zukünftig auch im Winter was zu essen.” Die Frage “Was habe ich davon?” blieb seitdem im kollektiven genetischen Gedächtnis der Bauern erhalten. Ein Bauer der sich heutzutage zum Beispiel fragt, “Was habe ich davon, eine hässliche, zänkische Frau zu heiraten, die mein ererbtes Vermögen aufbraucht und außerdem meine Cousine ist?” wird sie sich zeitgemäß beantworten, indem er sich sagt “Ich habe davon ein längeres Leben, denn ich habe auch zukünftig keine Angst, dass mir ihr Vater die Eier wegschießt, weil ich sie geschwängert habe.”

“Ich setze dieses Fahrzeug hier! Ich wette meine Raupe gegen Euren mattschwarzen Hot Rod Traktor, dass ich den Karren und unsere Pferde hier in einem eurer Schuppen, Ställe oder Scheunen finde.”

“Top!” riefen Nic und ich gleichzeitig und gaben uns im Geiste gegenseitig fünf.

H.B.’s Frau lief nun geradewegs auf unseren Pferdestall zu. Nicht dass wir unsere Gewehre deswegen runtergenommen hätten. Den Stall des Daches hatte ich übrigens gerade erst mit neuem Holz geflickt, das mir ein glücklicher Zufall in die Hände gespielt hatte. Natürlich hätte man das Holz auch für einen hübschen Pferdekarren gebrauchen können, aber ich hatte gerade keine Verwendung für einen solchen.

“Hahaaah!” freute H.B’s Frau sich im Pferdestall. “Dies hier sind auf jeden Fall unsere Pferde! Ihr solltet Euch wirklich was schämen!”

“Quatsch!” Nic blieb gelassen. “Das sind unsere Pferde. Sind hier geboren. Kannst Dir ja mal die Brandzeichen ansehen.”

“Die sehen aber sehr frisch aus!”

“Von Zeit zu Zeit erneuern wir die Brandzeichen!”

H.B.’s Brandzeichen ist – wer hätte das gedacht – “HB”, unseres ist “HL”. Das eingebrannte “B” auf den Pferden war gar nicht neu, dafür war das “L” noch verkrustet und ziemlich überproportioniert. Große Buchstaben als Brandzeichen haben nun mal den Vorteil, dass sie nicht so leicht mit einem anderen Buchstaben überbrannt und somit gefälscht werden können.

“Zwar kann ich Euch nichts beweisen, aber ich weiß dass ich richtig liege!” zischte H.B.’s Frau uns wütend an.

“Du kannst hier ruhig alles absuchen, du wirst nichts, aber auch gar nichts finden, nicht mal ein Anti-Schwerkraft-Modul!”

Ein kurzer Moment der Stille folgte, während dem sich Nic eine schlecht heilende Wunde in die Unterlippe biss.

“Ahaaah!” freute sich das rosa Grauen “Woher wollt ihr überhaupt wissen, dass ich nach einem Anti-Schwerkraft-Modul suche?”

“Äääh, haben wir gehört?” versuchte es Nic.

“Ich sag euch was! Nächstes Jahr gibt es ein Thing an der Donnereiche! Da werde ich die Sache vortragen, dann könnt ihr was erleben!”

“Schon gut! Zwar sind wir unschuldig, aber unsretwegen kannst du den Hot Rod Traktor haben.” sagte Nic gütig.

Der Gesichtsausdruck von H.B.’s Frau erhellte sich. Dieser Tekker war bekannt und viele beneideten uns darum. Hämisch grinsend meinte sie “So, jetzt geben wir klein bei, was? Na schön, dann will ich von einer Klage auf dem Thing absehen. Wo ist eure Höllenmaschine?” und rieb sich die Hände.

“In Holland auf dem Grunde des Rheins!” prustete Nic los.

Wir hielten uns die Bäuche vor Lachen und rangen nach Luft und lange hörten wir nicht auf. Wir lachten noch als die rosa Silhouette schon am Horizont verschwunden war. H.B.’s Frau hatte den direkten Weg zu Fuß über die Felder in nord-nord-westlichter Richtung genommen. Das Kettenfahrzeug musste sie zurücklassen, da sie es selber nicht reparieren konnte. Wir betrachteten es dann in gewisser Weise als Treibgut, das demjenigen gehört der es aufbringt. 

Ich lachte noch abends, als ich in meinem gemütlichen Wohnzimmersessel saß, der neuerdings angenehm vibrierend drei Fuß hoch über dem Teppich schwebte.