Johnny Depp als waschechter Rockabilly mit überdimensionierter Tolle? “Cry Baby” von Regisseur John Waters demonstriert, wie gut das funktioniert. Die schrille Musical-Komödie war im Kino alles andere als ein Kassenerfolg. Heute genießt sie einen Kultstatus, sowohl als Film wie als Broadway-Adaption.Wer ein Faible für schrägen Humor und Rock’n’Roll hat, kommt hier ohne Zweifel auf seine Kosten.
Drapes vs. Squares – die Welt von Cry Baby
Die Fronten sind klar in “Cry Baby”, der 1954 in Baltimore, Maryland, spielt. Auf der einen Seite stehen die Drapes, die Protagonist Cry-Baby Walker (Johnny Depp) anführt – ein im wahrsten Sinne des Wortes wilder Haufen, dem unter anderem Cry-Babys Schwester angehört. Ihre Kontrahenten sind die Squares, die ihrem Namen vollkommen gerecht werden. Ihr Anführer, Baldwin, hat das große Pech, dass sich seine hübsche Freundin Allison in Cry-Baby verliebt. Schließlich haben dieser und seine verrückten Rüpelfreunde in ihrem flammengeschmückten Schlitten einfach mehr Aufregung zu bieten als der geschniegelte Pat-Boone-Verschnitt Baldwin. Außerdem hat Cry-Baby eine Fähigkeit, die dafür sorgt, dass ihm reihenweise die Herzen weiblicher Teenager zufliegen: Er kann nämlich eine einzige Träne weinen.
Zusätzlich verbindet Allison und Cry-Baby, dass sie beide Waisen sind und die Geschichte ihrer Eltern mehr als ungewöhnlich ist. Cry-Babys Vater war der sogenannte Alphabet Bomber, der Städte in alphatischer Reihenfolge bombardierte, während Allisons Eltern grundsätzlich getrennte Flugzeuge bestiegen, um zu vermeiden, dass ihr Kind ein Waise wird – womit sie keinen Erfolg hatten, da schließlich beide Flugzeuge abstürzten.
Dass die Liebesgeschichte zwischen Allison und Cry-Baby keine von der unkomplizierten Sorte ist, lässt sich als Zuschauer schnell erahnen. Davon abgesehen macht John Waters keinen Hehl daraus, wo seine Sympathien liegen. Während Baldwin und seine Squares als ein reaktionärer Spießerhaufen der übelsten Sorte erscheinen, porträtiert der Regisseur die Gegenseite liebevoll als durchgedrehte Rock’n’Roll-Rebellen, die zweifellos die bessere Musik hören – und spielen.
Von Johnny Depp bis Iggy Pop – der Cast von Cry-Baby
Cry-Baby ist bestimmt kein Film für jedermann, aber wer sich auf den abgedrehten Humor von John Waters einlässt, kann eine Menge Spaß haben – nicht zuletzt dank der darin versammelten Schauspielriege. Johnny Depp, der zu dieser Zeit noch in erster Linie als Schönling aus der Teenager-Serie “21 Jump Street”bekannt war, brilliert als Mischung aus Elvis und James Dean genauso wie Stephen Mailer (der Sohn von Autor Norman Mailer) als Baldwin. Daneben gibt es sogar Iggy Pop zu bewundern, der als Freund von Cry-Babys Großmutter ein genüssliches Bad in einer Wanne auf dem Hinterhof nimmt. Für die ehemalige Porno-Darstellerin Traci Lords war die Rolle der Wanda in “Cry-Baby” ein wichtiger Schritt hin zu einer Karriere als anerkannte Schauspielerin.
Wenn Johnny Depp im Film am Mikrofon steht, ist übrigens die Stimme von Sänger und Gitarrist James Intveld zu hören. Daneben steuerte Rachel Sweet, die mit Waters schon bei Cry-Baby zusammengearbeitet hatte, einige Songs bei.
Erfolg erst im Nachhinein
Während Cry-Baby bei den meisten Kritikern gut ankam, fielen die Resonanzen des Kinopublikums eher mäßig aus. Mit einem Einspielergebnis von etwa 8 Millionen Dollar und einem Budget von 12 Millionen Dollar war der Film weit von dem Erfolg entfernt, den John Waters kurz zuvor mit Hairspray verbuchen hatte können und der Hollywood erst davon überzeugt hatte, dass der Independent-Filmer auch ein größéres Publikum erreichen konnte. Erfolgreich erwies sich dagegen das gleichnamige Broadway-Musical. Heute gilt “Cry-Baby” als Kultfilm – vor allem bei 50s und Rockabilly-Fans. Einen Versuch ist er aber auch für alle wert, die einmal eine andere Art von Teenagerkomödie sehen möchten.