Berühmt geworden ist er als Erfinder der Bezeichnung “Rock’n’Roll”, doch wie so viele angebliche Urheberschaften ist auch diese umstritten. Eine Legende ist Alan Freed trotzdem. In einer Zeit, in der amerikanische Radiosender noch weitgehend zwischen Schwarz und Weiß trennten, trug Freed viel dazu bei, Rhythm’n Blues bei einem weißen Publikum populär zu machen, wenn auch unter einem anderen Namen. Außerdem war der “King of the Moondoggers” unbestreitbar einer der ersten Star-DJs der Geschichte.
Rhythm’ Blues in den 40er-Jahren – schwarze Musik für ein schwarzes Publikum
Rassengleichheit war in den 40er Jahren der USA ein Wunschtraum. Wie im täglichen Leben gab es auch in der Musik klar definierte Grenzen, die selten überschritten wurden. Dies wurde schon in der Produktion von Tonträgern deutlich gemacht. Platten, die gezielt für ein schwarzes Publikum produziert wurden, wurden von den 20er bis zu den 40er Jahren als “Race Records” bezeichnet. Darunter fielen vor allem Gospel, Jazz und Blues.
Ab 1945 veröffentlichte das renommierte Magazin Billboard die sogenannten Race Records Charts. 1949 änderte es auf die Initiative des Journalisten Jerry Wexler den Namen in “Rhythm’n Blues Charts”, angeblich vor allem aus lautmalerischen Gründen. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits Teile der weißen Hörerschaft in den USA – vor allem junge Collegestudenten – begonnen, sich verstärkt für schwarze Musik zu interessieren. Auch gab es bereits vor Alan Freed den einen oder anderen weißen Radio-DJ in der zerklüfteten Rundfunklandschaft der USA, der Musik schwarzer Interpreten auflegte, vor allem im Süden des Landes.
Dies waren aber nach wie vor seltene Ausnahmen. Davon abgesehen war der Mainstream der Unterhaltungsmusik zweigeteilt. Auf der einen Seite gab es Crooner wie Frank Sinatra und Bing Crosby, sentimentale Balladen und Novelty Songs für ein weißes Publikum. Außerdem gewann Countrymusik Ende der 40er immer mehr an Einfluss. Auf der anderen Seite wurde zunehmend vor allem Rhythm’n Blues für ein schwarzes Publikum aufgenommen – urbane, rockige und tanzbare Musik, die weitgehend ohne die Sentimentalitäten auskam, die “weiße Popmusik” auszeichnete.
Vom Rhythm’n Blues zum Rock’n’Roll mit Alan Freed
Dass der 1933 geborene Alan Freed zum ersten berühmten Rock’n’Roll-DJ der Geschichte wurde, ist vor allem seinem Abstecher in einen Schallplattenladen in Cleveland zu verdanken. Freed, der zu diesem Zeitpunkt als Moderator bei dem örtlichen Radiosender WJW klassische Musik auflegte, war verblüfft über die vielen weißen Teenager, die vor seinen Augen Race Records kauften und noch im Laden anfingen, zu der Musik zu tanzen.
Auf den Vorschlag des Geschäftsinhabers Leo Mintz hin überredete Freed seine Vorgesetzten bei WJW zu einer Sendung, die ganz Rhythm’n Blues gewidmet war, oder Rock’n’Roll, wie es bald heißen sollte.
Der Ausdruck Rock’n’Roll war keine neue Erfindung, sondern bis dahin vor allem als ein afroamerikanischer Slangausdruck für Sex gebräuchlich. In diesem Zusammenhang, aber auch schon als Bezeichnung für das Tanzen tauchte er Ende der 40er Jahre bereits in Rhythm’n Blues Songs wie “Good Rockin’ Tonight” oder “Rock all Night long” auf. Ob es wirklich Alan Freeds Idee war, den Begriff als Ersatz für Rhythm’n Blues zu verwenden, um das weiße Publikum nicht abzuschrecken, ist umstritten.
Tatsache ist, dass Freed eine zentrale Figur bei der Etablierung des Stilbegriffs “Rock’n’Roll” war und seine Sendung, die zunächst den Namen “Moondog Show” trug, alle Erwartungen sprengte.. Das lag sicher auch an Freeds ehrlichem Enthusiasmus für die Platten, die er in seiner Show auflegte. So war der DJ bekannt dafür, dass er den Beat auf einem Telefonbuch oder einer Cowbell mittrommelte und hin und wieder eine Strophe mitsang. Vor allem aber war es der mitreißende Sound, mit dem der sich selbst als “Moondog” oder “King of the Moondoggers” betitelnde Freed seine Hörer zum Zappeln und Tanzen brachte.
Rock’n’Roll live und für ein gemischtes Publikum
Freed wurde nicht nur als Radiomoderator bekannt, sondern auch als Veranstalter von Konzerten. Den Anfang machte der Moondog Coronation Ball in Cleveland, bei dem, wie könnte es sein, Rock’n’Roll pur auf dem Programm stand. Entgegen Freeds Befürchtungen, er könnte nicht genug Tickets verkaufen, befanden sich irgendwann 25 000 Besucher in der für 10 000 Personen ausgelegten Cleveland Arena. Nachdem es gegen Ende des Abends zu Tumulten kam, hatte Rock’n’Roll genau die Sorte Publicity, die die Musik noch über viele Jahre hinweg begleiten sollte. Entrüstet über den Massenauflauf der überwiegend schwarzen Musikfans forderte die örtliche Presse Freed am nächsten Tag dazu auf, die Stadt zu verlassen, eine Aufforderung, der der DJ erst knapp zwei Jahre später nachkam.
Freeds Rock’n’Roll Shows sollten bald landesweit zu einer Attraction werden. Als der DJ sein Programm von Cleveland nach New York umzog, veränderte sich auch seine Hörerschaft. Hatte der DJ vorher immer noch in erster Linie ein schwarzes Publikum bedient, waren es nun Weiße und Schwarze, die gemeinsam Freeds “Rock’n’Roll Jubilee Ball” 1955 besuchten, auf dem unter anderem Fats Domino, Charles Brown, Joe Turner und die Drifters spielten, allesamt schwarze Interpreten. Von dem wachsenden Gegenwind, den die Musik erfuhr – übrigens auch von Schwarzen, die befürchteten, dass Rock’n’Roll alte Vorurteile ihnen gegenüber bestätigte – ließ sich Freed nicht beirren.
Während Musikkritiker von Rock’n’Roll-Fans als “Morons” (Schwachsinnige) sprachen und Rock’n’Roll-Konzerte in manchen Städten verboten wurden, verkündete Freed weiter die frohe Botschaft einer musikalischen Revolution, und das äußerst erfolgreich. In der zweiten Hälfte der 50er Jahre konnte Freed nicht nur in den USA, sondern über Radio Luxembourg sogar in Teilen Europas gehört werden. Außerdem trat der DJ in einer Reihe von Musikfilmen auf, darunter “Rock around the Clock” und “Don’t knock the Rock”. Zeitgenossen waren allerdings oft erstaunt darüber, dass der berühmte Rock’n’Roll-DJ in Persona eine wenig glamoröse Erscheinung war.
Der Payola Skandal – Ende einer Ära
Leider nahm die Karriere und auch das Leben des ersten Rock’n’Roll DJs ein tragisches Ende. Denn Freed gehörte zu den Beschuldigten im sogenannten “Payola Skandal”, der Ende der 50er Jahre Aufsehen erregte. Der Begriff Payola steht für die Bestechung von Radio DJs oder Redakteuren mit dem Ziel, einem bestimmten Song durch häufiges Spielen zum Erfolg zu verhelfen. Nachdem dieser Vorwurf im Konkurrenzkampf von Verwertungsgesellschaften laut geworden war, kam es zu einer groß angelegten Untersuchung amerikanischer Rundfunkanstalten, die zu einer regelrechten Hexenjagd ausartete.
Tatsächlich hatte Freed wohl eine Reihe von Geldspenden angenommen und sich sogar von Plattenfirmen als Mitkomponist diverser erfolgreicher Rock’n’Roll-Songs eintragen lassen – unter anderem Chuck Berrys “Maybellene”. Andererseits waren solche Praktiken in Freeds Umfeld zu diesem Zeitpunkt weit verbreitet. Heute gilt der Payola Skandal nicht zuletzt als Angriff der Verwertungsgesellschaft ASCAP, die vor allem ältere weiße Komponisten vertrat, auf ihren Konkurrenten BMI, der kleinere und unabhängige Plattenfirmen lizensierte. Als wesentliches Ziel kristallisierte sich vor allem in den Medien der “Rock’n’Roll” heraus. Wie könnte eine solche Musik auch nicht mit kriminellen Machenschaften verknüpft sein?
Für Freed bedeutete seine Weigerung, ein Schriftstück zu unterzeichen, dass er nie Payola akzeptiert hätte, seine Entlassung im Jahr 1959. Schließlich wurde der DJ, im Gegensatz zu dem ebenfalls angeklagten Dick Clarke von American Bandstand, 1962 zu einer Geldstrafe verurteilt. Schon drei Jahre später starb der King of the Moondoggers an den Folgen seines Alkoholismus als ein Geächteter im Rundfunkgeschäft.