Äußerlich gab es kaum etwas an Dick Clark, das diesen mit Rock’n’Roll in Verbindung gebracht hätte. Der dauergrinsende Fernsehmoderator und Disk Jockey, der wegen seines jugendlichen Aussehens auch als “America’s oldest teenager” bezeichnet wurde, war ein Musterbeispiel für Zurückhaltung und gute Manieren. Im Gegensatz zu Elvis Presley war Clark genau der Mann, den sich konservative Eltern aus der amerikanischen Mittelschichtals als zukünftigen Schwiegersohn für ihre Tochter wünschten – zumindest auf den ersten Blick. Gerade dies jedoch nutzte der Moderator aus, um den Rock’n’Roll in amerikanische Wohnzimmer zu schmuggeln und “American Bandstand” zu einer der berühmtesten Musiksendungen der Geschichte zu machen.
Rock’n’Roll und Fernsehen – zwei Giganten auf dem Vormarsch
Anfang der 50er Jahre war Rhythm’n Blues längst nicht mehr eine Musik allein für Schwarze. Gelangweilt von schmachtenden Croonern, süßlichem Tin Pan Alley Sound und blank poliertem Big Band Swing entdeckten immer mehr weiße Teenager diese rohe und aufregende Musik für sich. Der Rundfunk war das erste Medium, das diese Entwicklung widerspiegelte. Begünstigt durch die zerklüftete Radiolandschaft in den USA und die daraus resultierende Vielzahl an regionalen Sendern fanden sich früh DJs wie der legendäre Alan Freed, die Platten schwarzer Rhythm’n-Blues-Interpreten in ihren Sendungen spielten – nicht zuletzt, weil sie die Zeichen der Zeit und das damit verbundene kommerzielle Potenzial erkannt hatten.
Im Fernsehen sah die Sache anders aus. Hier regierte der Geschmack der weißen Mittelschicht und für die war Rhythm’ Blues und früher Rock’n’Roll Teufelsmusik, die die Moral der jungen Generation gefährdete. Dabei war das noch verhältnismäßig junge Medium wie geschaffen dafür, die geballte Kraft dieser neuen Musik zum Ausdruck zu bringen. Schließlich gehörten Optik und Sound im Rock’n’Roll schon immer zusammen.
Bandstand – ein neues Format setzt sich durch
Am Anfang einer der legendärsten Musiksendung der Welt stand ein heute weitgehend vergessener Mann mit dem Namen Bob Horn. Unter seiner Moderation wurde 1952 die Sendung “Bandstand” des lokalen Senders WFIL in Philadelphia ins Leben gerufen. Zunächst handelte es sich dabei um eine eher gediegene Mischung aus Interviews und Musik. Doch als diesbei den Zuschauern von WFIL nicht ankam, hatte der Diskjockey Horn die Idee, ein Konzept, das seine Kollegen in ihrem Rundfunkstudio schon erfolgreich praktizierten, auf das Fernsehen zu übertragen. Heute erscheint das Prinzip, dass Jugendliche im Fernsehen zu aktuellen Pophits tanzen, wenig revolutionär. Anfang der 50er Jahre stellte es jedoch eine aufregende Neuheit dar, die unzählige Teenager aus Pennsylvania und Umgebung zu Stammgästen machte. Der Sender hatte von Beginn an kein Problem, die 200 Plätze seines Studios zu füllen.
Auch Plattenfirmen und Künstler erkannten das Potenzial von Bandstand und bemühten sich nach Kräften darum, ihre Platten beziehungsweise einen Live(playback)auftritt in der Sendung unterzubringen. Dass sie diese Absicht oft mit finanziellen Geschenken bekräftigten (Payola), war zwar nicht legal, im Rahmen der Zeit aber durchaus üblich. Ohnehin erwies sich “Bandstand” als Goldgrube für die Verantwortlichen. Schon bald war die Sendung weit über die nähere Umgebung von Philadelphia hinaus bekannt.
Rockmusik suchte man bei Bandstand Anfang der 50er Jahre allerdings vergeblich. Stattdessen dominierten weiße Popkünstler wie Frankie Laine oder Georgia Gibbs die Musikauswahl. Rhythm’n Blues, eine Musik, die in Pennsylvania und Umgebung sehr lebendig war, schaffte es zunächst kaum in die Studios von WFIL. Dies begann sich erst 1954 zu ändern. Dann hatten immer mehr Plattenfirmen das Potenzial der Musik entdeckt, die Alan Freed bereits als Rock’n’Roll vermarktete. Philadelphia galt außerdem wegen seiner Nähe zu New York und seiner multikulturellen Gesellschaft als idealer Ort, um neue Trends zu testen.So waren immer häufiger neue Klänge im Programm von Bandstand zu hören – Musik von Interpreten mit Namen wie Bill Haley oder Elvis Presley, aber auch von schwarzen Künstlern wie Little Richard.
Schwarze Jugendliche waren allerdings kaum in der Lage, von dieser neuen Entwicklung bei Bandstand zu profitieren. Denn Rassengleichheit war in den 50er Jahren in Philadelphia mehr ein Schlagwort als Realität. Die Verantwortlichen von WFIL jedoch wollten sich die Gunst ihrer Werbepartner erhalten. So sorgten sie durch raffinierte Zugangsbeschränkungen dafür, dass das sichtbare Publikum von Bandstand bald fast ausschließlich aus weißen Jugendlichen bestand.
Dick Clark – ein Saubermann für Rock’n’Roll
Bob Horns Karriere als Moderator von Bandstand war beendet, als er 1956 von der Polizei betrunken im Auto aufgegriffen wurde. Nachdem dem erfolgreichen Moderator außerdem Verbindungen zu Produzenten pornografischer Fotos nachgesagt wurden, hielten es die Verantwortlichen bei WFIL für die sicherste Variante, gleich einen Ersatz zu suchen. Dass die Wahl dabei auf Dick Clark fiel, hatte nicht zuletzt mit dessen gediegenem Auftreten zu tun.
Denn im Zuge der Erfolge von Interpreten wie Bill Haley, Elvis Presley oder Little Richard war Rock’n’Roll in der zweiten Hälfte der 50er Jahre zu einem Hauptangriffsziel konservativer Kultur- und Sittenwächter geworden. Gezielte Störungen von Konzerten und Verbote von Rock’n’Roll-Veranstaltungen ließen die Angst bei WFIL steigen, dass ihre erfolgreiche Sendung unter schweren Beschuss geraten könnte. Da erschien es eine gute Idee, sich ein Aushängeschild zu suchen, das bei Jung und Alt gleichermaßen ankam. Wie sich bald zeigen sollte, ging diese Taktik auf.
Wow, da kommen Erinnerungen hoch 🙂 Das ist genau meine Musik, super Artikel!
Grüße
Tanja