Die Situation, in der Dick Clark die Moderation von American Bandstand übernahm, war keine leichte für Rock’n’Roll-Fans. Denn während die Musik schon anfangs die Gemüter gespalten aber in der amerikanischen Öffentlichkeit keine große Rolle gespielt hatte, wurde sie in der zweiten Hälfte der 50er Jahre zu einem zentralen Thema in den Medien. Dahinter stand vor allem der Wunsch vieler Amerikaner, fast ein Jahrhundert nach Abraham Lincoln Schwarz und Weiß weiterhin fein säuberlich getrennt zu halten.
Asa Carter und der Kreuzzug gegen Rock’n’Roll
“Separate but equal” beschrieb noch bis weit in die 50er Jahre den Rechtsstatus von Amerikanern mit schwarzer Hautfarbe in den ehemaligen Mitgliedsstaaten der Konfederation. Das gesetzliche Fundament für diesen Zustand bildeten die sogenannten Jim Crow Laws. Sie schrieben die Trennung von Schwarz und Weiß in öffentlichen Transportmitteln, Schulen und sogar auf öffentlichen Plätzen vor und zementierten damit praktisch eine Zwei-Klassen-Gesellschaft.
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der Druck afroamerikanischer Organisationen wie der NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) auf staatliche Rechtsinstanzen zu. Die Folge davon war eine Reihe von Entscheidungen des Supreme Courts, die die Jim Crow Laws praktisch für unrechtmäßig erklärten. Im Herbst 1957 sandte Präsident Eisenhower sogar Truppen nach Little Rock Arkansas, um die Integration von neun schwarzen Schülern in die Little Rock Central High School zu erzwingen.
In dieser Situation startete der ehemalige Radio Moderator Asa Carter, Mitglied im Ku-Klux-Klan und überzeugter Vertreter der Rassentrennung einen leidenschaftlichen Kreuzzug gegen den Rock’n’Roll. Seine Ansicht, die Musik habe ihren Ursprung im tiefsten Dschungel und wecke bei Ihren Hörern animalische Instinkte, wurde von vielen anderen Weißen in den amerikanischen Südttaaten geteilt. Bei diesen fielen auch Carters Aufrufe, zur Tat zu schreiten und sich persönlich mit den Unterstützern der heidnischen Musik auseinanderzusetzen, auf fruchtbaren Boden. Zu einem prominenten Opfers von Carters Kreuzzug wurde Nat King Cole, der während eines Konzerts in Birmingham von mehreren Zuhörern zu Boden gebracht wurde. Dabei hatte der erschrockene Cole mit Rock’n’Roll kaum etwas am Hut und spielte bereitwillig vor einem “Only-White”-Publikum.
Eine andere Folge der Anti-Rock’n’Roll-Proteste bestand darin, dass viele Staaten dazu übergingen, gemeinsame Tänze von Schwarz und Weiß zu verbieten und Radiostationen Rock’n’Roll aus ihrem Programm verbannten. Sogar im Norden der USA marschierten Bürger mit Plakaten auf den Straßen, die Rock’n’Roll als “Total Mongrelization” bezeichneten.
American Bandstand – die Ausnahme
Während es weiterhin Radiosender gab, die ungeachtet von Carter und seinen Gesinnungsgenossen Rhythm’n Blues und Rock’n’Roll spielten, war im amerikianischen Fernsehen davon keine Spur zu finden – mit einer Ausnahme. Die aber konnte theoretisch in jedem Wohnzimmer empfangen werden. Bandstand war nach dem Verkauf an ABC 1957 zu “American Bandstand” geworden und nun landesweit zu sehen.
Inhaltlich hatte sich mit dieser Übernahme kaum etwas verändert. Das bedeutete, dass Dick Clark da weitermachte, wo Bob Horn aufgehört hatte und nicht nur Rock’n’Roll-Platten weißer Künstler spielte, sondern auch solche von schwarzen Interpreten. Letztere wurden auch weiterhin als Studiogäste für Playback-Einlagen geladen.
Dass dies gelang, lag sicherlich zu einem großen Teil an dem Erfolg des Programms bei jungen Menschen. 20 Millionen Zuschauer konnte American Bandstand während der ersten Woche verzeichnen und die Popularität der Sendung hielt auch in der Folgezeit an. Damit lockte American Bandstand eine Reihe von amerikanischen Unternehmen an, die hier eine ihre große Chance gekommen sahen, Millionen von konsumfreudigen Jugendlichen mit Werbung zu erreichen. Clearasil, Dr. Pepper und 7 Up gehörten zu den Marken, die in “American Bandstand” bewusst in den Vordergrund gerückt wurden. Große Mühe, diese Tatsache zu verheimlichen, gaben sich Clark und Co. nicht. Im Gegenteil, demonstrative Kameraschwenks auf bestimmte Produkte waren an der Tagesordnung.
Dick Clark und der Rock’n’Roll
Als Dick Clark die Moderation von American Bandstand übernahm, hatte der damals 28jährige wenig Ahnung von Rock’n’Roll. Er zeigte sich aber entschlossen, diesen Rückstand so schnell wie möglich aufzuholen und keine Zugeständnisse an Asa Carter und dessen Gefolgschaft zu machen. Dahinter stand wohl vor allem Dick Clarks Gespür dafür, dass Rockmusik die Zukunft gehörte und dass diese Zukunft ein großes – unter anderem finanzielles – Potenzial für Diskjockeys und Fernsehmoderatoren wie ihn bereithielt.
So traten in der Sendung zwischen Clarks Debüt und Ende 1957 neben Künstlern wie Paul Anka, Georgia Gibbs und Mickey & Sylvia auch Gene Vincent, Buddy Holly, Jerry Lee Lewis und Chuck Berry auf. Letzterer erwies sich als besonders gewitzt, indem er “Bandstand” in den Text seines Hits “Sweet Little Sixteen” einband und dem Song damit praktisch eine Promotion durch Clark garantierte.
Wie bedeutend seine Sendung schließlich werden sollte, hatte wohl auch Clark kaum vorhergesehen. Während die Zuschauerzahlen Ende der 50er Jahre auf etwa 50 Millionen geschätzt wurden, entwickelte sich “American Bandstand” zum wichtigsten medialen Event in der amerikanischen Pop- und Rockmusik und stellte für viele noch unbekannte Künstler die Chance zum entscheidenden Durchbruch dar.
Wie Clark den Payola-Skandal überlebte
Clarks außergewöhnliche Widerstandsfähigkeit sollte sich einmal mehr im sogenannten Payola-Skandal Ende der 50er Jahre beweisen. Auch dabei handelte es sich letztendlich um einen gezielten Angriff auf Rock’n’Roll beziehungsweise diejenigen, die diese Musik in der Öffentlichkeit unterstützen.
Dabei war der zentrale Verdacht, mit dem sich Clark und 24 andere DJs konfrontiert sahen, keineswegs aus der Luft gegriffen. Dass Plattenfirmen Diskjockeys bezahlten, damit diese ihre Platten spielten und bewarben, war eine verbreitete Praxis in der amerikanischen Musikindustrie, über deren Illegalität sich bis zum Ende der 50er Jahre kaum jemand große Gedanken gemacht hatte. In Zusammenhang mit dem Payola-Skandal wurde allerdings gezielt der Eindruck hervorgerufen, diese Praxis tauche vor allem dann auf, wenn es um Rock’n’Roll-Platten ginge. Entsprechend sah sich Clark bei den Anhörungen mit der nicht besonders sachlichen Frage konfrontiert, warum er nicht mehr Songs von Stars wie Perry Como und Frank Sinatra spiele, statt Titel unbekannter Newcomer.
Letztendlich erwies sich Clark – im Gegensatz zu Alan Freed, dem der Payola-Skandal buchstäblich das Genick brach – als zu mächtig, um zu Fall gebracht zu werden. Da spielte es auch keine große Rolle, dass Clark bis kurz vor den Anhörungen nachgewiesenerweise Anteile an mehr als 33 Plattenlabels und verwandten Unternehmen besessen hatte und bei mehr als 150 Songs als “Songwriter” angegeben worden war – ohne jemals wirklich etwas komponiert zu haben, selbstredend. Im Gegensatz zu Freed ließ das Kommittee den Moderator von American Bandstand vom Haken. Sein Vorsitzender gab Clark sogar noch ein Kompliment mit auf den Weg: “Obviously you’re a fine young man.”
Nachdem Dick Clark den Payola-Skandal unbeschadet überlebt hatte, nahm seine Karriere und die von American Bandstand noch einmal richtig Fahrt auf. In der Zeit bis zur Einstellung der Sendung 1989 wurde ihr Moderator zeitweise zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten im Popbusiness, der außerdem Künstler wie Stevie Wonder oder Simon & Garfunkel das erste Mal einem breiten Publikum vorstellte. Als Clark, der eigentlich auf den wenig einprägsamen Namen Richard Augustus Wagstaff Clark, Jr.getauft war, 2012 an einer Herzattacke starb, war der Rock’n’Roll längst etabliert in Amerika – so sehr, dass es sich auch Präsident Obama nicht nehmen ließ, dem Moderator öffentlich zu gedenken.