WORKING CLASS – The American Pickup
Für den Wickelschal-Werber mit eigener Agentur und Dick Brave auf dem Backseat, ist der 64er Ford Mustang der Inbegriff eines Amischlittens. Mitt-Sechziger Greaser betrachten den 59er Cadillac Eldorado als ultimatives US-Potenzmittel im Straßenverkehr und ein gechoppter 32er Ford Deuce Coupe als vergammelter Shotrod ist die heilige Madonna Detroits für alle sich noch in der Pubertät und Probezeit befindlichen Oldstyle Kids. Leider entpuppte sich der Mustang spätestens ab Modelljahr ´74 als vierzylindrige Damenhandtasche für Schrittgeschwindigkeitsfahrten in die nächste Shopping Mall. Der 1959er Cadillac als dramatischster Stellvertreter aller Heckflossen-Saurier taugt genausowenig als Synonym für das US Car überhaupt, denn bereits Anfang der Sechziger legten die amerikanischen Autobauer die Heckflosse wieder flach, die sich erst kurz zuvor Mitte der Fünfziger steil aufrichtete. Der 1932er Ford Deuce wurde leider nur ein Jahr gebaut.
Im Vergleich zum amerikanischen Pickup sind die obigen Kandidaten allesamt kurzlebige Modeerscheinungen der Automobilgeschichte.
Seit knapp 100 Jahren werden die zähen Arbeitstiere mit Ladefläche in der neuen Welt produziert. Schon das erste am Fließband zusammengesetzte Automobil der Welt, das Model T von Ford, konnte auch als Pickup geordert werden.Tiefgreifende Mutationen der Pickup-Genetik hat es im Prinzip innerhalb der letzten zehn Dekaden nicht gegeben. Starrrahmen, Starrachse, Fahrerhaus, Sitzbank, ein hubraumstarker Motor – fertig ist die Laube auf vier Rädern.
Doch seit jeher ist der kleine Truck mehr als nur ein Arbeitsgerät. Auch im Nutzfahrzeugbereich spielte Design von vornherein eine entscheidende Rolle. So legte Ford 1948 als erste Nachkriegskonstruktion mit dem so genannten Million Dollar Cab beim F-1 ein Brett in puncto Optik und Style vor, Chevrolet schickte 1955 mit der Task Force bezahlbares Traumwagendesign für die Baustelle ins Rennen -auf Wunsch erhältlich mit dem neukonstruierten Small Block V8 und Power Glide.
Automatik. Die Dodge Boys standen etwas später auf und konterten erst 1957 mit ihrem Forward Look im Space Design. Optionale Heckflossen mit Raketenrückleuchten waren zwar beim Beladen im Weg, sahen aber umwerfend aus.
Der Pickup wurde somit zum Identifikationsmerkmal der Arbeiterklasse und ganze Berufsgruppen definierten sich über ihn. Schweinezuchtbetriebe in Minnesota mit Ford F-150 vorm Stall, Getreide-Farmer in Wisconsin, die im Dodge 1/2-Ton ihre Felder abfahren,
Holzfäller in Montana, die im Chevrolet Apache durchs Unterholz pflügen. Bis in die Fünfzigerjahre war der Markt der Light Trucks in Amerika schwer überschaubar und die Modellpolitik der Hersteller kaum zu begreifen. Den 48er Ford der F-Serie konnte man zum Beispiel in schlappen 139 verschiedenen Ausführungen ordern und wen die Produktpalette der Big Three von Ford, Chevrolet und Dodge langweilte, der wurde vielleicht bei GMC, Studebaker, International oder Jeep fündig. Erst danach setzte allmählich eine Selektion ein und kleinere Marken wie Studebaker verschwanden ganz vom Markt, International widmete sich lieber Treckern und Schulbussen und Jeep spielte stückzahlenmäßig auf dem Pickup-Sektor eh nie eine tragende Rolle.
Das Amerika der Fifties
befand sich im absoluten Konsumrausch. Während im zerbombten Nachkriegsdeutschland Lieschen-Müller und ihr Gatte Heribert alles für einen eigenen Motorroller oder vielleicht sogar schon für ein gebrauchtes Damenfahrrad getan hätten, ging der Trend in God’s Own Country bereits zum Zweitwagen. Im Zuge dessen entdeckten auch Bürohengste und andere Zielgruppen den Pickup für sich, obwohl sie ihn eigentlich gar nicht brauchten. Das Blue Jeans-Prinzip. Praktisch, robust und für die Arbeit gedacht, waren Light Trucks von nun an auch gerne auf den betonierten Garageneinfahrten von Suburbia gesehen. Für Großeinkäufe oder Angel-ausflüge in Nationalparks. Ein schöner Vertreter dieser Entwicklung ist der bereits weiter oben erwähnte Forward Look Dodge D100 Sweptline von 1957, der in schicker Zweifarblackierung und mit schön unpraktischen Heckflossen mehr Lifestyle als Lastkraft verkörperte.
Der Siegeszug der Pickups in den Zulassungsstatistiken war ungebrochen, Hollywood nahm sich der Sache mit der Ladefläche allerdings erst so richtig in den Achtzigern an, als Lee Majors als Colt Seavers mit einem GMC K-2500 Sierra Grande auf Kopfgeldjagd ging und Gerald McRaney als Rick Simon in Simon & Simon so was ähnliches machte und dabei einen Dodge Power Wagon, Sondermodell Macho, fuhr. In den Fünfzigerjahren fuhren Leinwandhelden bevorzugt Limousinen oder, wenn sie schon tough sein sollten, gleich Harley oder Triumph Thunderbird.
Bereits 1932 stellte Ford mit dem Model B18 V-8 den ersten Pickup mit dem aus heutiger Sicht ur-amerikanischsten Motor, dem V8, auf die Räder.
Die leistungsgeilen Sechzigern
Doch so richtig Standard wurden die gusseisernen Brocken mit Hubraum im Überfluss erst in den leistungsgeilen Sechzigern , dem Muscle Car Jahrzehnt. Dafür wurde das Design schlichter. Sachlichkeit bestimmte die Optik, runde Ponton-Formen waren aus der Mode und galten als schwülstig. Auch unter dem Blech änderte sich einiges.
Mit den dicken V8’s verabschiedete sich auch die Handschaltung mehr und mehr aus den Fahrerkabinen und das Automatikgetriebe wurde allmählich zum Standard. Bis auf Federungskomfort und Innenraumgeräusche unterschieden sich die Trucks dadurch im Gebrauch immer weniger von den Sedans und erschlossen wieder mal neue Käuferschichten.
In den frühen Siebzigern
kam es dann zum Knall im Horsepower-süchtigen Amerika. Neue Emissions-Gesetze und höhere Versicherungsprämien kastrierten die Motorleistung spätestens ab dem Modelljahr ´73 extrem und die Amis trauten ihren Augen und Gasfüßen kaum, so schlapp setzten sich die Tachonadeln der Neuvorstellungen in Bewegung. Kurz darauf gab die Ölkrise Auto-Amerika den Rest und das Land verfiel in eine fünfjährige PS-Lethargie ohne große Highlights. Pickups gelten in den USA als Trucks und für LKW gelten andere Schadstoffgesetze. Die Ingenieure von Dodge setzten der automobilen Langeweile der Spät-Siebziger ein Ende und schraubten dank dieser Gesetzeslücke den Dodge Li´l Red Truck zusammen. Ein tiefergelegter Pickup mit serienmäßigen Chrompellen und einem 5.9 Liter großen V8 ohne schadstoffbegrenzende Kaspereien. Der Li’l Red Truck legte die Viertelmeile in beeindruckenden 14.7 Sekunden zurück und somit war 1978 der Dodge LKW das beschleunigungsstärkste Vehikel auf dem Neuwagenmarkt, mit dem nicht einmal die Corvette mithalten konnte!
In den Achtzigern
passierte auf dem Pickup-Markt nicht viel Aufregendes. Es schien, als habe man sich in Detroit aufgegeben. Man schleifte die Modelle aus den Siebzigerjahren mit geänderten Frontgrill-Designs in der Hoffnung durchs Jahr-zehnt, auf dass niemand die Mogelpackung bemerken sollte. Colt Seavers und Rick Simon wirbelten wie gesagt mit ihren Trucks eine Menge Staub und sonst nichts auf, die Japaner drängten immer mehr auf den US-Automarkt, Neuvorstellungen aller Hersteller hätte man am besten vom Showroom gleich in die Presse geschoben, Musik und Mode wurden noch schlimmer, es setzte sich die Erkenntnis durch, dass das beste Autodesign gut 30 Jahre zurückliegt und in der Sowjetunion explodierte ein Atomkraftwerk. Damals wusste man noch nicht, dass die Neunziger noch grausamer werden würden. So grausam, dass an dieser Stelle über die Autos von 1990 bis heute kein Wort verloren wird.
Nur so viel: Wer sich heute morgen mit einem Hammer die Tolle gekämmt hat und auf die schwachsinnige Idee gekommen ist, im Jahr 2013 einen Neuwagen kaufen zu müssen, der kommt um die Pickups der drei großen US-Hersteller nicht herum. Einen V8, relativ wenig Plastik und Starrachse hinten gibt es nur noch in diesem Fahrzeugsegment. Wer aber ernsthaft vorankommen will, der stellt sich gleich die Task Force in die Einfahrt oder fährt im Forward Look zur Uni. Million Dollar Cab statt Leasing-Rate. It’s alright to be a Redneck.
Text: Norman Gocke