Bodie – Rise and Fall of the wildest Town in the West
Das Prada- und Gucci-Sortiment auf dem Rodeo Drive, die chirurgisch veränderten Oberkörper an der Promenade von Venice Beach, der Hertz-Leihwagen japanischer Herkunft – das Kalifornien der Gegenwart besteht zu 100 Prozent aus Plastik. Das wahre Amerika einer längst vergangenen Epoche liegt nicht links und rechts der Interstate 5 mit eigener Ausfahrt und beleuchteten Parkplätzen. Wer zurück in eine Zeit reisen möchte oder muss, in der die Dinge noch aus 2 Millimeter Blech und wettergegerbtem Holz gefertigt wurden und in der die Stempelung “Made in China” noch “Kommunistischer Großangriff” bedeutete, der kommt nicht drum rum seinen gemieteten Toyota über eine Schotterpiste im Hochland der Sierra Nevada zu prügeln.
40 Fahrminuten von Lee Vining liegt die Geisterstadt Bodie auf knapp 1.500 Metern Höhe, mitten im Nichts, abgeschnitten von der Außenwelt, bei Temperaturen, weit unterm kalifornischen Durchschnitt. 1859, zehn Jahre nachdem der große kalifornische Goldrausch ausbrach und eine ganze Generation junger Männer zu verlorenen Glücksspielern wurde, fand Waterman S. Body Gold und starb kurz darauf in einem Schneesturm. Zwei Jahre später gründete seine Familie die Goldgräberstätte Bodie. Bodie als Ableitung von Body, weil zweiteres auch “Leiche” bedeutet. Die Goldvorkommen in dieser gottverlassenen Gegend sprachen sich schnell unter Glücksrittern herum und bereits 1876 wurde Bodie zur Stadt. Drei Jahre später, 1879, lebten schon über 10.000 Menschen in Bodie. Es gab einen Eisenbahnanschluss und sogar ein chinesisches Viertel, sowie einen taoistischen Tempel. Um 1880 herum galt Bodie als heißeste Stadt des Westens. Blutige Schießereien und Gewalt waren alltäglich und der zweitstärkste Wirtschaftszweig nach der Goldgräberei war die Prostitution.
Ein kleines Mädchen, dessen Eltern zu jener Zeit nach Bodie zogen, schrieb der Legende zu Folge in ihr Tagebuch: “Goodbye god, I’m going to Bodie.” Angesichts der 65 Saloons und unzähligen Bordellen, die es in Bodie gab, sprach Reverend F.M Warrington von Amerikas brutalster Stadt als “See der Sünde, gegeißelt von einem Gewitter der Lust und Leidenschaft”. Klingt doch eigentlich gut.
So rapide wie Bodie wuchs, so schnell ging es auch wieder zugrunde. 1881 brach der Goldmarkt ein und innerhalb eines Jahres ging die Einwohnerzahl von 10.000 auf 3.000 zurück. Von nun an ging es nur noch bergab und1888 lebten nur noch 500 Menschen in Bodie. Die Mine förderte zwar noch bis in die 1960er Jahre, aber die meisten Arbeiter wohnten in freundlicheren Nachbarorten. Bodie war dem Zerfall preisgegeben, investiert wurde nichts mehr, man lebte auf Verschleiß. 1932 raffte ein Großfeuer 85 Prozent der zumeist aus Holz gebauten Häuser dahin. Knapp dreißig Jahre später wurde die Mine geschlossen. Zur selben Zeit erkannte man die Einzigartigkeit der berüchtigten Spieler und Trinkerstadt Bodie. Das Klima zwischen den Gipfeln der Sierra Nevada ist zwar rauh und die Sonne brennt hier oben wie ne Lötlampe, aber die gleichzeitig sehr trockene Luft greift Holz und Metall verhältnismäßig wenig an, so dass viele der bereits seit Jahrzehnten unbewohnten Häuser aussehen, als seien ihre Bewohner gerade erst bei einer Schießerei ums Leben gekommen. Nicht zuletzt deshalb, weil viele der Gebäude noch teilweise möbliert und eingerichtet sind. Die Eisenbahnstrecke nach Bodie wurde 1917 bereits wieder stillgelegt und abgerissen, so dass es für die zumeist autolosen letzten Einwohner Bodies keinen Sinn machte, ihre alten, wertlosen Habseligkeiten die alte Passstraße runterzuschleppen, als sie wegzogen.
1962 wurde die Geisterstadt Bodie zum Historic State Park
ernannt und unter Schutz gestellt. Ranger haben seitdem ein Auge auf die Stadt, erhalten sie ohne den Originalcharakter zu zerstören und passen auf, dass kleptomane Tagesgäste nicht die ein oder andere Blechdose oder antike Bierflasche als Souvenir mitnehmen. Doch trotz allem: erbarmungsloser als Billy the Kid ist nur die Natur und aus diesem Grund zerfällt Bodie jedes Jahr ein bisschen mehr. Deshalb beeilt Euch. Die Vergangenheit liegt gerade mal 400 Kilometer östlich von San Francisco.
Text & Fotos: Norman Gocke