Als Comic-Superheroes den Weltfrieden retteten …

High Noon. Mann gegen Mann. Amerika hat den Wilden Westen nie überwunden.

Pepsi versus Coke, Cowboys gegen Indianer, Demokraten gegen Republikaner, Chevy oder Ford. Wirtschaft, Wahlkampf, Gesellschaft – Amerika lebt und liebt das Duell ohne Graustufen.

Wen es da überrascht, dass auch die Geschichte des amerikanischen Superhelden-Comics ein Kampf zweier Verlage um die Vorherrschaft im Hero-Universum ist, der hat entweder die letzten achtzig Jahre unter einem Stein geschlafen oder entstammt einem Mormonen-Haushalt südwestlich von Salt Lake City. Wer heute einen Superhelden-Comic kauft, hält eigentlich immer eine Veröffentlichung von Marvel oder DC in den Händen. Comics über Helden mit übernatürlichen Fähigkeiten, unbegrenzten Kräften, beknackten Namen und enger Arbeitskluft gibt es seit Ende der Dreißiger. Die Weltwirtschaftskrise quälte die USA, die Goldenen Zwanziger waren vorbei und auf der anderen Seite des Atlantiks regierte keifend ein Mann namens Adolf Hitler ein seit fünf Jahren beängstigend schnell erstarkendes Deutschland.
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Eine Zeit internationaler Ungewissheit, geprägt von Ängsten und dem diffusen Gefühl, dass großes Unheil in naher Zukunft droht. Im Juni 1938 wurde der erste Superhelden-Comic veröffentlicht. In Ausgabe #1 der Action Comics gab der bis heute berühmteste Held, Superman, sein Debüt. Superman, geboren als Kal-El auf dem Planeten Krypton, wird kurz nach seiner Geburt als Säugling von seinen Eltern in eine Rakete gesetzt, weil der Heimatplanet kurz vor der Explosion steht. Kal-El landet auf der Erde und wird vom Farmer-Ehepaar Kent adoptiert. Sie nennen ihn Clark und ziehen ihn groß. Clark arbeitet als Redakteur beim Daily Planet und weil Schwerkraft und Sonnenintensität auf der Erde anders als auf Krypton sind, entwickelt Clark Kent übernatürliche Kräfte. Er ist stärker, schneller und unverwundbarer als jeder andere.

DC Comic Superman no18

DC Comic Superman no18

Die 10 Cent teure Veröffentlichung von Detective Comics, später DC Comics, schlug bei den Amis ein wie eine Bombe. Ein übermächtiger Amerikaner, der alle Probleme der Zeit mit einem Faustschlag beseitigen kann- der gute Gegenentwurf zu Hitler, der allmächtigen, diktatorischen Personifikation des Bösen. Angesichts des Erfolgs tauchten im DC-Universe neben Superman 1939 Batman und 1940 The Flash auf, sowie 1941 Wonder Woman als weibliche Superheldin.

Nach dem Kriegseintritt der USA im Wonder-Woman-Jahr 1941

avancierten Action Comics mit Superman zur meistgelesenen Front-Lektüre der US-GIs. In Nazi-Deutschland wurden die US-Bildergeschichten von Reichspropagandaminister Goebbels mit dem absurden Auswurf “Superman ist ein Jude!” verboten. DC reagierte umgehend und in der Zeit von 1942 bis Kriegsende ’45 zog Superman in seinen Comics immer öfter gegen die Nazis in den Krieg, würgte Hitler und warf ihm Torten ins Gesicht. Superman wurde erfolgreicher Teil populärkultureller, westlicher Gegenpropaganda. Der Zweite Weltkrieg als bunte Klolektüre für zwischendurch.

Sensation Comic Wunderwoman

Sensation Comic Wunderwoman

Apropos Torte: Timely Publications, später besser bekannt unter Marvel Comics, wollte auch etwas vom Superhelden-Kuchen ab haben und schickte 1941 Captain America in die nationalistische Propagandaschlacht. Man legte im Gegensatz zu DC optisch noch einen drauf und schickte den Captain patriotisch in Stars-and-Stripes-Spandex gekleidet in die Schlacht gegen Nazis und Japaner.

Ausgerechnet die plakative Ästhetik der Nationalsozialisten war der Geburtshelfer der Superhelden-Comics. Hitler, Hakenkreuze und die schwarz-weiß-rote Farbgebung hatten auch in gezeichneter Form einen hohen Wiedererkennungswert und eine düstere Aura, die den Comic-Zeichnern die Umsetzung der Nazis als Konterpart amerikanischer Superhelden erleichterte.

Die Vierzigerjahre waren das Golden Age der Superhelden-Comics,

Frederic Wertham (c) wikimedia.org

Frederic Wertham (c) wikimedia.org

doch genau wie dem Rock ‘n’ Roll, dem Blues oder dem Swing, drohte auch der neu entstandenen Jugendkultur der Comic-Freaks Widerstand aus dem konservativen Lager. 1954 veröffentlichte der deutsch-amerikanische Psychiater Fredric Wertham sein Pamphlet “Seduction of the Innocent” (zu deutsch: Verführung der Unschuldigen).

Seduction of the innocent - Frederic Wertham

Seduction of the innocent – Frederic Wertham

Wertham unterstellte Superhelden-Comics, dass sie die Jugend vergiften und verrohen lassen würden. Wertham griff neben EC Comics, die sich in erster Linie dem Horror-Comic verschrieben hatten, DC Comics an, insbesondere deren Charaktere Superman, Batman und Wonder Woman. Superman sei Wertham zu Folge blasphemisch und brächte Kindern Allmachtsphantasien bei, die Existenz des Assistenten und Beifahrers Robin war für den in Nürnberg geborenen Pseudo-Wissenschaftler und Autor der unschlagbare Nachweis für homo-pädophile Neigungen der gesichtsmaskierten Superfledermaus und das Zauberlasso der “lesbischen und männerfeindlichen Wonder Woman” war für unseren Fredric eine Anspielung auf das weibliche Geschlechtsorgan.

Weil große Politik immer mit Ängsten spielt, schlitterte Amerika nach dem Sieg über Nazi-Deutschland nach kurzer Atempause in die McCarthy-Ära. Angefacht von Senator Joe McCarthy verfiel die USA in anti-kommunistische Panik vor dem ehemaligen Verbündeten, der Sowjetunion, und die Furcht vor anti-amerikanischen, die Moral zersetzenden Umtrieben schlug wild um sich. Man fürchtete eine Sexualisierung der Gesellschaft, sah im Kühlergrill des 58er Edsels genau wie in Wonder Womans Zauberlasso das Abbild einer Vagina, baute Bunker im Garten, verteufelte den Rock ‘n’ Roll und verdächtigte Arbeitskollegen bereits des kommunistischen Denkens, wenn die sich in der Kantine lediglich über ihr schmales Gehalt oder unbezahlte Überstunden aufregten. Klar, dass dank Wertham auch Superhelden-Comics fortan als gesellschaftszersetzend und unamerikanisch galten. Selbst der Über-Patriot und WK2-Veteran Captain America, der in den Fünfzigern als Commie Smasher beworben wurde, konnte gegen diesen von Wertham verbreiteten Irrglauben nichts ausrichten.

Die Comic-Industrie witterte die Gefahr

staatlichen Verbots und Zensur und reagierte noch im selben Jahr mit einer freiwilligen Selbstbeschneidung. Man gründete die Comics Magazine Association of America (CMAA), die in den Comic Codes festlegte, welche Vorgaben ein Comic ab sofort zu erfüllen hatte. Begriffe wie Terror oder Horror waren genauso tabu wie sexuelle Anspielungen und über allem wachte als Anstandsdame die CCA, die Comics Code Authority.

Marvel Comics - Die ruhmreichen Rächer

Marvel Comics – Die ruhmreichen Rächer

Comics ohne CCA-Siegel gelangten so gut wie gar nicht mehr in den Verkauf, in manchen Städten und Counties war der Verkauf von ungeprüften Heften ohne Siegel sogar strafbar. Die künstlerische Freiheit wurde abgewürgt wie unter Chruschtschow und die zensierten Comic-Zeichner wandten sich einem immer jüngeren Publikum mit ihrer entschärften Ware zu, da die erwachsenen Leser wegbrachen. 1955 brach der Markt aufgrund des Comic Codes um 50 Prozent ein, aber auch, weil den Superhelden nach dem Sieg über die Nazis die bösesten Feinde abhanden gekommen waren. Doch wie in jedem guten Hollywood-Streifen hat in Amerika jeder das Anrecht auf ein fulminantes Comeback. Insbesondere Marvel belebte trotz Zensur den Comic-Markt Anfang der Sechziger neu und das später sogenannte Silver Age of Comics brach an. Star-Autor Stan Lee, der seit den Vierzigern für Marvel, beziehungsweise Timely schrieb, erfand 1962 mit Spider-Man und Hulk gleich zwei radioaktiv verstrahlte Erfolgs-Charaktere, die den Nerv des Atomzeitalters trafen. Peter Parker aka Spider-Man war der nette Junge von nebenan, der seine Superkräfte durch den Biss einer radioaktiven Spinne erhielt, Dr. Bruce Banner aka Hulk war ein Nuklearphysiker, der aus Versehen zuviel Gamma-Strahlung abbekommen hatte und sich nach jedem cholerischen Anfall brüllend in einen grünen Muskelprotz verwandelte. Trotz Zensur verkauften sich die neuen Marvel-Heroes wie geschnitten Brot und sind bis heute neben den 1963 ebenfalls von Lee erfundenen X-Men die besten Pferde im Marvel-Stall. Die CCA wachte übrigens noch bis ins neue Jahrtausend über unsere Action-Freunde. Marvel gab erst 2001 bekannt, ab sofort seine Veröffentlichungen nicht mehr prüfen zu lassen, DC traute sich sogar erst 2011 aus dem Siegel-Wahnsinn auszusteigen.

Wie man es von Superhelden erwartet, haben sich Batman, Superman und Konsorten erfolgreich bis in die Gegenwart durchgeschlagen. Hollywood verfilmt regelmäßig ihre Abenteuer, der Heftabsatz ist zwar längst nicht mehr reißend, aber unter Nerds stabil und die Merchandising-Industrie beschäftigt in China tausende von Arbeitern. Und das, obwohl seit den Vierzigern in jeder Geschichte dasselbe passiert. Ein Guter besiegt einen Bösen. Duell ohne Graustufen, auch wenn Hulk mit seiner Macke kein klassischer Sympathieträger ist.
Text: Norman Gocke