Drag Strip Heroes auf der Essen Motor Show
Die alljährliche Essen Motor Show hat im Prinzip mit Rock ‘n’ Roll soviel zu tun wie ein 32er Ford Hot Rod mit einem tiefergelegten Golf III. Nur zwei Kilometer vom Red Hot and Blue Ladenlokal entfernt, dreht sich jeden November/Dezember in Essen-Rüttenscheid größtenteils alles um peinlich getunte Kleinwagen, laute Bummbumm-Musik und Frauen in unmöglichen, neonfarbenen Spandex-Klamotten.
Doch seit 2009 halten die Jungs von Smokin’ Shutdown mit ihrer Sonderausstellung in der Messe-Galeria erfolgreich dagegen und leisten dringend notwendige Aufklärungsarbeit in Sachen amtlicher Mobilität. Unter der etwas missverständlichen Parole ‘Drag Strip Heroes’ werden diesmal noch bis zum 7. Dezember klassische Racing Rods für Viertelmeile und Dry Lakes aber auch für den Dirt Track gezeigt.
Smokin’ Shutdown mit Sonderausstellung
Auch wenn ein Dirt Track Oval nichts mit einem aseptischen, schnurgeraden Drag Strip zu tun hat, sind die drei ausgestellten Dirt Racer das geilste, was die 2014er Motor Show zu bieten hat. Normalerweise wird ein 58er Ford Fairlane nur noch am Wochenende bei minimalster Regenwahrscheinlichkeit hochglanzpoliert zu regionalen Tagestreffen pilotiert, damit er nachts wieder in der eigenen Garage steht und der Chrom nicht anläuft. Daniel Kiebecks hat seinem Fairlane den Boulevard Cruiser ausgetrieben und bis auf die Bumper jeden Chrom runter gerissen. Die Lampenausschnitte sind zu geschweißt, die fluffige Innenausstattung ist längst auf den Sperrmüll geflogen, alle Scheiben ausgebaut, Überrollkäfig eingeschweißt. Direkt neben dem 58er parkt Marvin Lehmanns 37er Ford. Auf den ersten Blick sieht der zweitürige Sedan schwer misshandelt, gekaut und ausgespuckt aus. Die Fahrertür zu gebraten, auf der Beifahrerseite klafft ein Loch zum Ein- und Aussteigen. Auf den zweiten Blick offenbart sich, dass der fast 80 Jahre alte Sedan der historisch wertvollste Klassiker auf der Messe ist. Wenige Autos der Vorkriegszeit sind heute noch mit originaler Seilzugbremse unterwegs, da die meisten aus Sicherheitsgründen und im Sinne der Alltagstauglichkeit auf ein hydraulisches System umgerüstet wurden. In solchen Kisten begann auch Wendell Scott 1952 seine Rennfahrerkarriere auf Dirt Tracks in Virginia.
Auf der gegenüberliegenden Seite in der Galeria geht es weniger dreckig zu. Bei den klassischen Hot Rods geben sich diverse Dreißigerjahre-Fords und ein 29er Roadster die verchromte Klinke in die Hand. Aufmerksamen Bestellern und Rumble59 Magalog-Lesern wird der offene Rod mit dem Flathead-Motor noch vom Fotoshooting mit Ralf Richter ein Begriff sein…
Die meisten heute existierenden Hot Rods wurden entweder in den letzten 15 Jahren als klassischer Old Style Rod wild zusammengeschraubt, oder es handelt sich um Survivor der sehr bunten “Disco”-Epoche des Hot Roddings, der Siebziger- bis Neunzigerjahre. Vertreter des Sixties-Styles sind eher rar gesät. Nicht zuletzt, weil sich die Kids der Sechzigerjahre eher für Road Runner, Chevelle, Charger und anderen Muscle Cars jener Zeit begeisterten. Ein Vertreter dieser Zwischenepoche ist erfreulicherweise auch vor Ort. Sauber aufgebaut, weit entfernt vom Rat Rod, 5,4 Liter Chevy Small Block, auf Weißwandreifen und verchromten Cragar-Felgen.
Der einzige reine Drag Strip Hot Rod in Essen hat in seinem 84-jährigen Leben noch nie einen US Highway unter die Hoosier Slicks genommen. Der hart tief gelegte und gechoppte 4-Door Sedan ist eine 1930er Opel 8/40 PS Luxus-Limousine aus deutschen Landen, von der allerdings nicht mehr viel übrig geblieben ist. Von dem originalen, 40 PS “starken” Reihensechszylinder mit 1,9 Litern Hubraum fehlt jede Spur, dafür reißt jetzt ein 5,7 Liter großer Chevrolet V8 an der Kardanwelle, sobald der Christmas Tree auf grün schaltet.
Ebenfalls in der Galeria steht ein aus Las Vegas / Nevada eingeflogener 27er Model T Roadster mit angeblich 1200 PS, der aber nichts mit der Smokin’ Shutdown Sonderausstellung zu tun hat. Leistung kann man zwar nie genug haben, aber angesichts vier (!) verbauter moderner Aluminium-V8-Motoren, Fahrwerksteilen der Corvette C4 und einer zweifelhaften Lackierung in Candy Apple Blue auf der GFK-Karosserie, ist das Ding eher was für Golf-Tuner, die mal staunen wollen, als für Hot Rod Puristen.
Dann lieber ein paar Minuten vor dem daneben und neben sich stehenden 1936er Chevrolet Master Deluxe inne halten. Mehr Chicano-Style geht nicht bei einem Lowrider. Ein völlig beklopptes Kunstwerk in Plüsch und Gold bis zur letzten Schraube. Großartig.
Ansonsten war es das im Großen und Ganzen mit den Sehenswürdigkeiten für Freunde von Autos, die ohne Plastik und Elektronikgeraffel auskommen. Wer eh vor hat, die Essen Motor Show zu besuchen, sollte sich noch die äußerst originale 54er Corvette mit Blue Flame Six Motor in Halle 9.1 beim Street Magazine angucken, oder den 1913er Ford Model T Speedster Rennwagen und den mächtigen 41er Buick Series 90 Touring. Und bleibt von den tiefergelegten Polos und Corsas weg!
Text & Bilder: Norman Gocke