Das deutsche Drama “Die Halbstarken” (1956) kennt manch einer vielleicht noch aus dem Geschichtsunterricht – und lässt deshalb lieber die Finger davon. Dabei hat es der Klassiker verdient, dass man ihm auf der heimischen Couch eine zweite Chance gibt. Anders als das verkorkste Remake mit Till Schweiger besticht das Original mit einer dichten Atmosphäre und exzellenten Darstellern. Außerdem war es, wenn man so will, der deutsche “Teddyboy”-Film überhaupt.
Auf den Spuren von James Dean und Marlon Brando
Großes Kino über junge Rebellen war in den 50er Jahren eine amerikanische Domäne. Marlon Brando und James Dean waren nicht nur Ikonen der Halbstarken in der Bundesrepublik. Sie bescherten auch so manchem braven Mädchen aus gutbürgerlichem Haushalt eine Gänsehaut. Für deutsche Filmproduzenten war vor allem der finanzielle Erfolg von Filmen wie “Rebel Without A Cause”, “The Wild One” oder “Blackboard Jungle” der Ansporn, sich an einer eigenen Version der Geschichte von jugendlichen Outlaws zu versuchen.
An einer solchen waren sogar staatliche Stellen interessiert, allerdings aus eigenen Gründen. Schließlich musste den bundesdeutschen Jugendlichen, die in Nietenhosen und Tolle durch die Straßen zogen, einmal vor Augen geführt werden, wohin so ein vulgärer Lebensstil langfristig führte. Ihre Unterstützung für “Die Halbstarken” zog die Westberliner Regierung allerdings schnell zurück, sobald sich herauskristallisierte, dass sich der Film wenig um Lösungsansätze für das Problem der Jugendkriminalität scherte. Für Drehbuchautor Will Tremper und Regisseur Georg Tressler stellte das kein großes Problem dar. Ihr geschicktes Marketing sicherte ihnen auch so die notwendige Aufmerksamkeit.
Karin Baal und Horst Buchholz – die Protagonisten in “Die Halbstarken”
Zunächst einmal galt es für Tressler und Tremper, Hauptdarsteller zu finden, die “den Zeitgeist verkörperten”. Für den männlichen Part bot sich der Berliner Horst Buchholz an. Der gefiel den Frauen, hatte James Dean in der deutschen Fassung von “Rebel Without A Cause” (“Denn sie wissen nicht, was sie tun”) synchronisiert und machte eine prima Figur als kleinkrimineller und verstörter Jugendlicher aus kaputtem Elternhaus.
Aus der Suche nach dem weiblichen Gegenpart von Buchholz machten Tremper und Tressler einen medienwirksamen Wettbewerb. 700 Mädchen bewarben sich für die Rolle der 16jährigen Femme Fatale, die sinnigerweise den Vornamen “Sissy” trug. Erfolgreich war letztlich die zu diesem Zeitpunkt erst 15jährige Karin Baal, alias Karin Blauermel. Die Blondine aus Wedding hatte keinerlei Schauspielausbildung, was in den 50ern noch unüblicher war als heute. Trotzdem erwies sie sich als der eigentliche Glücksgriff in “Die Halbstarken” – auch wenn sie selbst darüber im Nachhinein nicht immer glücklich war.
Ungeschickte Posträuber und eine skrupellose Blondine – die Story
Die Parallelen zwischen James Dean als Jim Stark in “Rebel Without A Cause” und Horst Buchholz als Freddy Borchert in “Die Halbstarken” sind offensichtlich – allen voran der Konflikt mit dem eigenen Vater. Allerdings ist Freddy ein lupenreiner Kleinkrimineller, der sich nicht mehr mit Kleinigkeiten zufrieden geben will und mit seiner “Bande” einen Postraub durchführt.
Leider erweisen sich die “Halbstarken” dabei als nicht halb so geschickt wie im Stehlen von Armbanduhren. Nicht nur ist das eigentlich vorgesehene Fluchtauto wegen einer verschlossenen Garage nicht greifbar. Auch geraten die Nachwuchsgangster schließlich mit dem gestohlenen Postauto in einen Unfall. Am größten ist die Enttäuschung, als sich herausstellt, dass es sich bei der Beute nicht um Geld sondern um Postanweisungen handelt. An dieser Stelle kommt die ebenso fesche wie skrupellose Sissy Bohl auf die Idee, die Pleite durch einen Einbruch wettzumachen. Der endet stilvoll und ganz nach dem Vorbild von “Rebel Without A Cause” in einer dramatischen Schießerei.
Reaktionen auf die “Halbstarken”
Heute gilt “Die Halbstarken” als einer der wichtigsten deutschen Filme überhaupt. In den 50ern zeigten sich die meisten Kritiker durchschnittlich begeistert. Das lag wohl auch daran, dass sie sich einen größeren moralischen Zeigefinger gewünscht hatten. Letztlich ist der Film aber gerade deshalb heute noch sehenswert, weil er die meiste Zeit auf diesen Zeigefinger verzichtet und als stilvoller Gangsterfilm mit nostalgischem 50s-Flair überzeugt.
Die echten Halbstarken – die in der Regel mit Postraub nichts am Hut hatten – interessierte die Moral an der Geschichte ohnehin herzlich wenig. Für sie war der Streifen von Tremper und Tressler ein hausgemachtes Stück Kino, das mit ungewöhnlich viel Coolness aufwarten konnte. Zwar hotteten die Halbstarken hier in der Eisdiele zum Bigband-Swing und nicht zu Elvis. Das reichte aber in der ansonsten reichlich biederen deutschen Kinolandschaft für ein bisschen Ekstase aus. Kinobesitzer mussten dafür ein paar zerbrochene Stühle in Kauf nehmen.
Außerdem schlugen sich Buchholz und Baal hervorragend. Letztere wurde zwar von einer professionellen Schauspielerin synchronisiert, stand aber in Sachen Sex Appeal der jungen Brigitte Bardot in nichts nach. Pech für Baal war, dass das Publikum schlecht vergisst. Nach “Die Halbstarken” war die Schauspielerin erst einmal unwiderruflich auf die Rolle der “Femme Fatale” festgelegt.
Die Halbstarken und der Rock’n’Roll
Der Rock’n’Roll, der zu dem Zeitpunkt, da die Halbstarken in die Kinos kam, schon für Aufregung in deutschen Medien sorgte, kommt als Musik im Film nicht vor. Für den Soundtrack sorgte Komponist und Jazzgitarrist Martin Böttcher, der dafür eigens die Gruppe “Mister Martin’s Band” gründete (unter anderem mit Hans Last, später “James” Last, am Bass). Entsprechend gibt es vor allem lockeren Big Band Swing zu hören.
Auch sehen Freddy und Co. deutlich weniger rebellisch aus als James Dean oder Marlon Brando. Trotzdem brachten “Die Halbstarken” ein Stück Rock’n’Roll-Atmosphäre auf die Leinwand, das bis dahin im deutschen Kino nicht existiert hatte. Schon 1957 wurde übrigens das ostdeutsche Pendant zu “Die Halbstarken” unter dem Titel “Berlin – Ecke Schönhauser…” veröffentlicht.