Die Grand Ole Opry und der Rock’n’Roll

Rockabilly wird oft als Kreuzung aus Country und Rhythm’n Blues beschrieben. Das mag aus musikhistorischer Sicht vereinfachend sein, dass die frühen Singles von Carl Perkins oder Elvis Presley einen gehörigen Schuss Countrymusic beinhalten, lässt sich jedoch kaum bestreiten. Dabei reagierten große Teile des Country-Establishements in den USA zunächst alles andere als begeistert auf die jungen Wilden. Sogar der King of Rock’n’Roll musste diese Erfahrung machen, als er vor einer der berühmtesten Institutionen der amerikanischen Musikgeschichte auftrat: der Grand Ole Opry.

Von Uncle Jimmy Thompson zu Hank Williams – die steile Karriere der Grand Ole Opry

Die Anfänge der Grand Ole Opry waren alles andere als spektaktulär. Die Rundfunkstation WSM war ein Produkt der Versicherungsgesellschaft National Life and Accident Company aus Nashville, die auf der Suche nach Möglichkeiten war, Werbung für ihr Angebot zu machen. Obendrein ergab sich durch die “Stiftung” einer Rundfunkstation die Gelegenheit, sich als Wohltäter für die Gemeinde in Szene zu setzen. Der Name “WSM” basierte auf dem Firmenmotto “We Shield Millions”. Als Programmdirektor verpflichtete die Gesellschaft keinen Geringeren als George D. “Judge” Hay. Dieser hatte 1924 die populäre Musiksendung “National Barn Dance” in Chicago ins Leben gerufen und stellte sein Händchen nun auch in Nashville unter Beweis. Mit einem Gastspiel des 77jährigen Fiddlers Uncle Jimmy Thompson startete 1925 der “WSM Barn Dance”.

Am Anfang stand der "Barn Dance" wikimedia.com

Am Anfang stand der “Barn Dance”
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Schon bald wuchs die Popularität des WSM Barn Dance, zu dessen frühen “Stars” illustre Namen wie Dr Humphrey Bate und his Possum Hunters,  Binkley Brothers’ Dixie Clodhoppers und Uncle Dave Macon gehörten, unaufhörlich. Einen neuen Namen erhielt die Show, als Hay eines Abends in Anklang an die vorangegangene Klassiksendung die Ansage machte: “”For the past hour, we have been listening to music taken largely from Grand Opera. From now on, we will present the ‘Grand Ole Opry’.” Mit dem wachsenden Zuschauerandrang wurde das Studio im Gebäude der Life and Accident Company zu klein. Schließlich entschloss man sich dazu, umzuziehen. Nach mehreren Standortwechseln landete die Grand Ole Opry im Ryman Auditorium und blieb dort bis 1974. Inzwischen war der einstige Ableger des “National Barn Dance” zu einer landesweiten Attraktion geworden, bei der Countrylegenden wie Ernest Tubbs, Hank Williams und Roy Acuff auftraten.

“Keine Drums in der Grand Ole Opry” – Widerstand gegen den Rock’n’Roll

In der Hochzeit der Grand Ole Opry war die Show ein schlagender Beweis für die landesweite Beliebtheit von Bluegrass-Pickern, Fiddle-Spielern und schmachtenden Cowboy-Balladen. Doch schon früh offenbarte sich die populäre Institution auch als ein Ort, an dem sich hitzige Konflikte zwischen konservativen Kräften und jungen Erneuerern abspielten und erstere oftmals den Ton angaben. So mussten Interpreten, die in der Grand Ole Opry auftraten, eine Reihe strikter Regeln beachten, die unter anderem die Wahl der Instrumente betraf.

Das Ryman Auditorium Nashpaul/wikimedia.org

Das Ryman Auditorium
Nashpaul/wikimedia.org

Elektrisch verstärkte Gitarren waren den Traditionalisten der Countrymusik lange ein Dorn im Auge. Allerdings fanden sie schon 1943 Eingang in die Grand Ole Opry, angeblich durch Honky-Tonk-Legende Ernest Tubb. Deutlich länger blieb Schlagzeugern die Bühne der Show verwehrt. Bis weit hinein in die 50er-Jahre galt: Wer in der Grand Ole Opry spielen wollte, musste seinen Drummer draußen lassen und sich stilecht mit einem Kontrabass begnügen. Das traf auch Carl Perkins und seine “Blue Suede Shoes”. Überhaupt war das Stammpublikum der populären Country-Show alles andere als begeistert davon, als zunehmend junge Musiker begannen, Country zunehmend mit Rhythm’n Blues-Anleihen zu versehen. Wurde der Hillbilly Boogie von Teenessee Ernie Ford noch akzeptiert, so sah das mit den bald folgenden Sun-Studio-Interpreten anders aus.

 

Elvis, Wanda, Jerry und die Grand Ole Opry

Der zukünftige King of Rock’n’Roll hatte gerade erst seine erste Single im Sun Studio aufgenommen, als er die berühmte Bühne der Grand Ole Opry betrat. Doch das Publikum im Ryman Auditorium war nicht bereit für die rockige Version des Country-Klassikers “Blue Moon of Kentucky”, die ihnen Presley zusammen mit seinen beiden Mitstreitern Bill Black und Scotty Moore präsentierte, am allerwenigsten für den Hüftschwung, den Elvis Presley damit verband. Ob der Talent Scout der Grand Ole Opry Jim Denny Presley tatsächlich sagte, er solle lieber zurück nach Memphis gehen und wieder Lastwagen fahren, ist umstritten. Tatsache ist, dass Denny sich dagegen aussprach, dem jungen Rockabilly-Star einen festen Platz im Programm zu geben. Dieser ließ sich daraufhin von der Konkurrenz, “Lousiana Hayride” engagieren, eine Entscheidung, die er nicht bereuen sollte.

Presley war nicht der einzige Rock’n’Roll-Star, der schlechte Erfahrungen mit der wohl berühmtesten Country-Sendung Amerikas machte. Wanda Jackson trat das erste Mal 1954 in der Grand Ole Opry auf. Da ihr selbst angefertigtes glamoröses Kleid die Schultern nicht bedeckte, wurde die Sängerin dazu gezwungen, während ihres Auftritts ihre Jacke anzuziehen, und konnte daraufhin die Tränen nicht zurückhalten.

Waren Presley und Jackson zum Zeitpunkt ihres Auftritts in der Grand Ole Opry unerfahrene Newcomer, so hatte Jerry Lee Lewis 1973 bereits eine lange Karriere hinter sich – und eine Reihe von Country-Hits, die auch das Publikum der Grand Ole Opry gerne hören wollte. Doch der Killer machte Veranstaltern und eingefleischten Countryfans gleichermaßen einen Strich durch die Rechnung. Schon in seiner Ansage verstieß er gegen die erste Bedingung, die ihm die Veranstalter  vor dem Auftritt gestellt hatten, indem er sich selbst als “a rock and rollin’, country-and-western, rhythm and blues-singin’ motherfucker” präsentierte.

Nachdem das mit dem Fluchen geklärt war, kümmerte sich Jerry Lee Lewis auch nicht mehr auf die Auflage, nur Country-Songs zu spielen. Stattdessen ließ er eine ganze Reihe von Rock’n’Roll-Songs vom Stapel, “Great Balls of Fire” inklusive und überzog die ihm gewährte Auftrittszeit schamlos. Der Unterschied zu Elvis Presleys Auftritt fast zwanzig Jahre zuvor war, dass das Publikum der Grand Ole Opry begeistert war. Denn inzwischen war der Rock’n’Roll auch bei konservativen Country-Liebhabern angekomme. Ob Lewis an diesem Abend auch die dritte Bedingung gebrochen hatte und betrunken war, kontrollierte letztendlich niemand mehr. Der Künstler selbst war jedenfalls zufrieden und teilte seinen Hörern im ehrwürdigen Ryman Auditorium mit: “You are what you are. You can do what you can do. And I thank God that Jerry Lee Lewis can do it!” Amen