Horatio VI/4

Horatio schrieb:

Wir wachten wieder auf, weil Öppa zunehmend Schleifen und Bögen fuhr, um entgegenkommenden Fahrzeugen auszuweichen, die offenbar beim Überholvorgang ihre Geschwindigkeit überschätzt hatten. Aber wie schon zuvor winkten uns die Fahrer meist zustimmend zu oder begrüßten uns fröhlich mit der Hupe und/oder der Lichthupe. So ein cooles Fahrzeug wie unseres sieht man immerhin nicht alle Tage auf der Straße.

Nic gähnte ausnehmend und reckte sich. “Eigentlich müssten wir langsam da sein. Öppa, wie weit iss noch?”

“Höhöhöhö, jajajaja!”

Dabei hätte man es meines Erachtens belassen und unsere Fahrt in aller Ruhe fortsetzen können, wenn Nic dann nicht folgenden Einwand erhoben hätte: “ Ich kann ein Schild sehen: „Willkommen in der Bundesrepublik Deutschland”

“Und?” ´grummelte ich verschlafen.

“Es entfernt sich von uns.”

“Und?”

“Ich glaube, wir fahren auf der Autobahn.”

“Oh, da müssen wir wieder runter, wo ist das Problem?”

“Kein Problem!” sagte Nic “Nur, wenn ich mich so umgucke, sind wir vermutlich in Holland, das liegt in einem 90 Grad Winkel zu Dannekenhoog und außerdem fahren wir auf der falschen Seite der Autobahn.”

Nachdem wir unser Problem etwa eine Minute zu lösen versucht hatten, wie wir es immer tun, also indem wir einen weiteren Schluck von dem Apfelmost nahmen, ohne dass es zu dem gewünschten Resultat führte, waren wir gezwungen kreativ zu werden und reagierten – für die ländliche Bevölkerung absolut ungewöhnlich – mit:

Panik!

“Öppa! Öppa! Wir müssen hier irgendwie runter!”

“Höhöhöhö, jajajaja!”

Zwei wild gestikulierende Personen mit schreckverzerrten Gesichtern versuchten nun Öppa davon zu überzeugen, dass er … nun, irgendetwas tun müsse. Es ist eine Sache, in einen Unfall zu geraten, aber dieser Hot Rod Traktor hatte uns erstens beim Aufbau jede Menge wertvolle Lebenszeit und zweitens (für Bauern noch viel wichtiger) einen beträchtlichen Teil unseres Vermögens gekostet. Wenn Öppa den jetzt zu Schrott fahren würde … nicht auszudenken.

Öppa wurde irgendwann gewahr, dass etwas nicht stimmte und dass wir uns bemühten, von unseren Klapprücksitzen aus zu ihm Kontakt aufzunehmen. Nun, mit plus minus 117 Jahren ist man nicht mehr der Jüngste. Irgendwie übertrug sich unsere Panik auf ihn. Sein Lächeln verschwand und er wurde sichtlich nervös. Da er scheinbar nicht wusste, was er machen sollte, wedelte er erst einmal wild mit den Armen in der Luft. Wir schrieen ihm zu, er solle das Lenkrad festhalten, während wir krampfhaft versuchten uns irgendwo festzuhalten, da der Trekker ins Schleudern geriet.

Zwar bekam Öppa ihn wieder in seine Gewalt, begann aber nun, da das mit dem Armwedeln sein Problem im großen und ganzen nicht gelöst hatte, hilflos irgendwelche Knöpfe an der Armatur zu drücken und Hebel zu ziehen.

Obwohl – jetzt wo ich darüber geschlafen habe, bin mir nicht hundertprozentig sicher, ob das für ihn nicht die vierte Runde war.

Jedenfalls erklang plötzlich mit gefühlten 180 Dezibel aus unseren Boxen AC/DC mit “I’M A ROCKER, I’M A ROLLER!” (Wer jetzt dachte hier kommt “Highway to hell” macht es sich ein wenig zu einfach.) und Opa schien auch den versteckten Hebel für die Schwarze-Hollergeist-Einspritzung gefunden zu haben. Das bedeutete, dass wir in 5 Sekunden von 30 Meilen pro Stunde auf 100 Meilen beschleunigten.

Ich gebe zu, dass Nic und ich an dieser Stelle einen Fehler machten. Wir krakeelten  uns die Hälse rau um die Musik zu übertönen und scheinbar hatten wir Erfolg. Wir riefen immer wieder “Öppa, wir müssen hier runter.”

Verhängnisvoller Weise vergaßen wir hinzuzufügen: “An der nächsten Abfahrt!”

Öppa entschied sich in dem Moment unseren Vorschlägen nachzukommen, als wir gerade mit 155 Meilen auf der Rheinbrücke fuhren.

Es gelang Nic in letzter Sekunde abzuspringen und mich mitzureißen. Unverletzt aufzukommen und sich abrollen war nicht so schwierig. Wer mal versucht hat, eine wütende Dachsmutter davon zu überzeugen, dass ihr Bau einer Flurbereinigung weichen muss, ist sportlich topfit, darauf kann man jede Wette eingehen.

Leider traf Öppa hingegen die folgenschwere Entscheidung, sich hart am Lenkrad festzuklammern, so dass unsere Ohren bei unserem Absprung in etwa folgendes wahrnahmen: “Höhöhöhö…A ROCKER…krrraaauunnnkkk!…jajajaja…ROLL…SPLOSCH!”

Stille.

Bis auf die vorbeifahrenden P und LKW.

Da wir uns etwas gebeutelt fühlten, beschlossen wir, die Nacht über in Holland zu bleiben und suchten uns einen Bauern, bei dem wir in der Scheune übernachten konnten (was nicht bedeutet, dass wir ihn gefragt haben) und trampten am nächsten Tag nach hause.

Gerade haben wir dann telefonisch Hannibal auf seinem Mobiltelefon in der Schweiz erreicht, bei dem scheinbar auch nicht alles wie geplant lief.

“Wir” ist in dem Zusammenhang nicht ganz richtig. Nic meinte “wir” müssten Hannibal anrufen und über die Geschichte mit dem Traktor unterrichten. “Wir” bedeutet in solchen Fällen immer “Du, Horatio“.

Schließlich hatte ich Hannibal am anderen Ende der Leitung:

“Ich … Mist, die Verbindung ist schlecht, wir fahren gleich durch einen Tunnel. Zumindest, wenn wir den verdammten Elefanten da rein kriegen, verdammt! Nein, nicht … nicht auf die Motorhaube setzen, och Menno!”

“Hannibal, ich muss Euch was sagen.”

“Ja, benutz’ halt den Elektroschocker, Adelheid! Ja, was ist?”

“Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht wegen Öppa.”

“Der alte Sack! …, ’tschuldigung, ja was ist? Ist was passiert? Oohoooh, kapp die Seile, kapp die Seile, verdammt!”

“Nun, nichts sooo schlimmes, stell dir vor, wir hatten einen Unfall unser Trekker liegt in Holland im Rhein und ist kaputt und wir wären fast draufgegangen, aber wir leben.”

“Geh weg! Geh weg! Nimm deinen Rüssel weg! Blödes Viech! … Das ist dann ja wohl noch mal gut gegangen was, Horatio? Und was ist die gute Nachricht?”

“Äh, das war die gute Nachricht.”

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