Horatio XIV/2

Horatio schrieb

Die Relativitätstheorie
 

 

 

Abrupt drehte Nic sich zu mir um und sah nun auch was ich sah: H.B.’s Frau, die einen Karabiner im Anschlag hielt dessen Lauf in meinem linken Nasenloch steckte.

In diesem Moment hatte ich einen Geistesblitz, wenn er mir auch in dieser Lage nichts nützte. Ich verstand auf einmal die Bedeutung der Relativitätstheorie. Sowohl von H.B.’ s Frau als auch von mir konnte man jetzt sagen, dass wir einen Gewehrlauf in der Nase hatten. Nur ich war relativ schlechter dran.

“Wo ist mein Mann?” presste H.B.’s Frau leise aber deutlich hörbar zwischen ihren zusammengekniffenen Lippen hervor.

Aus dem umliegenden Wald kamen drei weitere bewaffnete Männer hervor, die wir nicht kannten und die wohl zu ihrer entfernten Verwandtschaft gehören mochten. Wir fanden jetzt, dass die Schneewehe doch etwas künstlich angelegt aussah.

Nic kratzte sich am Kopf “Äh, weiß nicht?”

“Ich hoffe, es fällt dir gleich wieder ein.” die Frau hob den Lauf etwas höher, so dass ich auf den Zehenspitzen stehen musste. “Sonst könnte es sein, dass du Horatios Gehirn von der Birke da vorne abkratzen kannst.”

“Vorausgesetzt, du triffst es.” sagte Nic lächelnd.

Nic und ich hatten darüber später ein Gespräch, in dem ich begründet argumentieren konnte, dass das ein relativ schlechter Zeitpunkt für solch eine Bemerkung war.

Übrigens wussten wir es wirklich nicht. Ausnahmsweise hatten wir keine Ahnung, wovon sie redete. Wir wußten nicht einmal, dass H.B. offensichtlich verschwunden war.

“Ich frage zum letzten mal: Wo ist mein Mann?”

Immer noch lächelnd knöpfte sich Nic zur Antwort daraufhin ihren Mantel auf und zum Vorschein kamen eine Reihe Flaschen schwarzer Hollergeist, die sie sich wie eine Selbstmordattentäterin um die Brust geschnürt hatte.

“Sieh mal,” sagte Nic ruhig “glaubst du im Ernst, ich würde in dieser Gegend nicht mit Überfällen rechnen. Schieß doch. Aber dann fliegen wir alle zusammen in die Luft.” ließ ein Sturmfeuerzeug aufklicken und hielt es gefährlich nahe an einen der Flaschenhälse in denen nasse Lumpen steckten.

“Man könnte sagen, das ist eine klassische Patt-Situation.” sagte ich und hoffte, dass man mir glaubte.

Was jetzt wiederum geschah, war zugegeben relativ unwahrscheinlich. Aber mal ganz ehrlich, ich habe in Luettentrop einmal bei einem im Wohnzimmer gesessen, der ein Fernsehgerät besitzt. Da lief eine Sendung, die wurde moderiert zusammen von einem Florian Silbereisen und einem Hansi Hinterseer. Wer es für wahrscheinlich halten kann, dass eine Co-Existenz von Gott und diesen beiden möglich ist, der wird zugestehen müssen, dass auch das folgende wahrscheinlich sein könnte:

Aus dem Dickicht des Waldes stolperte überraschend der vermisste H.B. in die Szene.

Gut, er sah nicht ganz aus wie sonst, seine Kleidung hing ihm in Fetzen von Leibe, seine Haare zeigten wirr in alle Richtungen und sein Blick war von Wahnsinn geprägt. Sein linker Arm stand in einem komischen Winkel zum Rumpf ab und überall hingen Eiszapfen an ihm, besonders am Mund, was von nachhaltigem Sabbern unter großer Kälteeinwirkung herrühren mochte.

Sofort ließen H.B.’s Frau und ihre Gefährten von uns ab und umringten den Kaputtnik um ihm zu helfen. “Wo bist du gewesen? Was haben sie mit dir gemacht?” H.B. grunzte zur Antwort irgendwas Unverständliches.

Inzwischen hatten sich unsere Gänse teilweise selbst ausgegraben und knurrten bereits bedrohlich in Richtung der kleinen Gruppe.

“Psssst!” flüsterte Nic “Jetzt oder nie!”

Dann löste sie eine Flasche Hollergeist aus ihrem Brustpaket, zündete sie an und warf sie in Richtung der fiesen Wegelagerer. Nic selbst und ich warfen uns mit einem Hechtsprung hinter den Schneehügel.

Eine viertel Stunde später saßen wir wieder zusammen auf dem Schlitten Wir mussten uns jetzt aber wirklich beeilen, um nicht zu spät zum Mittagessen bei Hannibal zu kommen.

“Meinst du da kommt noch was?” meinte Nic.

“Glaub’ nich‘. Denk’ die ham genug.”

“Vielleicht hätten wir zwei Gänse zur Bewachung des Hofes zurücklassen sollen.”

“Och, die können ja froh sein, wenn sie es vor Neujahr zu ihrem eigenen Hof schaffen.”

“Wenn sie es überhaupt schaffen. Du weißt, in dem Wald, in dem wir sie gelassen haben, ist irgendwas.”

Wir dachten etwas nach und schwiegen. Der Wind pfiff heulend um unsere Ohren.

“Iss nich’ unser Problem, oder?”

“Hehe, nö.”

Wir trieben die Gänse noch etwas mehr an und erreichten relativ rechtzeitig Hannibals Hof. Nic schnallte ihr Kamikaze-Päckchen ab und legte es hinten auf den Schlitten. Der neue Elefant beim Reittherapiezentrum trötete, als ob er uns willkommen heißen wollte.

Vor der Tür standen sichtlich gut gelaunt Hannibal und Hector. Ein paar Schritte rechts von ihnen warteten ihre ebenso fröhlichen Frauen, die jede eine Zaunlatte in der Hand hielten.

Wir sprangen vom Schlitten und gingen lachend auf Hannibal und Hector zu. “Frohe Weinnachten!” sagte Nic und haute Hannibal erst mal so richtig was auf die Fresse.

Fortsetzung folgt