Horatio schrieb:
Der Mondschein Schneeball
Sylvester fiel in diesem Jahr mit einem weiteren besonderen Ereignis zusammen, einem Mondschein Ball. Ein Mondschein Ball ist in erster Linie ein ganz normales Fest, dass in einer Scheune oder an einer Waldhütte stattfindet. Dabei werden bei guter Musik ganze Schweine gegrillt, extrem viel Alkohol getrunken und alle sind bewaffnet, damit keiner Streit anfängt. Außerdem wird ein bunter Salat für Hector gemacht. In zweiter Linie wird der Ball auch genutzt um Informationen auszutauschen, kleine Geschäfte zu machen und wichtige Dinge zu besprechen. Normalerweise wird ein Mondschein Ball im Sommer ausgerichtet, Bauer Lümmel hatte aus besonderem Anlass jedoch einen außerordentlichen Mondschein Ball in seiner Scheune einberufen. Bis auf besondere geladene Gäste dürfen daran nur solche Bauern und ihre Familien teilnehmen, die Mitglieder in einer bestimmten, kleinen örtlichen Loge sind, welche gemeinnützige Zwecke verfolgt.
Unbedarfte und anmaßende Kritiker dieser Loge führen häufig an, dass unsere Loge unter „gemeinnützig” tatsächlich eher „gemein” und „Nutzen” verstünde, was jeder Grundlage entbehrt. Wenn wir Ihnen unsere stichhaltigen Gegenargumente darlegen, behaupten sie darüber hinaus oft, dass „verfolgt” und „stichhaltig” in diesem Zusammenhang ebenfalls eine besondere Bedeutung für uns hätten. Auch das ist lediglich eine vage Vermutung, die durch keinerlei Tatsachen gestützt werden kann. Da wir im allgemeinen die besseren Argumente habe, werden solche verleumderischen Behauptungen meistens kein zweites Mal aufgestellt.
Vielleicht gibt es weit draußen auch einige Logen, die dem Gleichheitsprinzip Rechnung tragen, indem sie alle einfarbige Mäntel tragen und sich Kapuzen überziehen, um alle ihre persönlichen Vorbehalte auszuschließen. Um eine solche Loge handelt es sich bei uns ganz und gar nicht.
Diskriminierung ist uns nämlich fremd,
a) da die meisten das Wort nicht aussprechen können,
b) da die meisten von uns durch soziale Herkunft und körperliche Erscheinung selber stigmatisiert sind,
c) da uns Rasse, Religion und Geschlecht völlig egal sind („solange du von hier bist”).
Der wichtige Dienst, den wir der Gesellschaft erweisen, besteht vielmehr in der „Pflege und dem Erhalt des Anbaus sowie der Weiterverarbeitung und des Vertriebs steuerfreier Genussmittel”.
Als besondere Gäste luden wir einen Vertreter der Rüstungsindustrie, eine Musikkapelle und einige Kritiker unserer Loge ein. Der Vertreter der Rüstungsindustrie sollte einen Vortrag halten und er war auch der Grund, dass diese außerordentliche Zusammenkunft ausnahmsweise mitten im Winter stattfand.
Bauer Lümmel hatte den Vertreter Mitte November angesprochen, als der in der Luettentroper Gaststätte „Zum Einen” an der Theke stand und gerade harmlos ein Blondes und einen Kurzen schlabberte. Das wird sich vermutlich so angehört haben: „Wer bist du denn?” oder „Wo kommst Du denn her?” gefolgt von „Ich geb’ Dir zehn Sekunden.”
Worauf der Vertreter geantwortet haben wird: „Zehn Sekunden wofür?”
Bauer Lümmel darauf: „Eins, zwei,…”
Der Vertreter hatte es Dank seiner geübten Redekünste und einer Mitleidstour aber geschafft, Lümmel in ein Gespräch zu verwickeln. Im Besonderen klagte er darüber, dass es dem Gewerbe der Waffenhersteller schlecht gehe und dass für ihn kaum noch was zu verkaufen sei. Es gebe einfach zu viel Embargos und zu wenig Kriege in letzter Zeit. Seit der Finanzkrise seien die Regierungen nicht mehr so schnell zu weiteren Rüstungsausgaben bereit und überhaupt mache sich überall Menschlichkeit, Versöhnung und Friedenswille breit. Wer dächte denn in seiner Menschlichkeit mal an ihn und seine Familie, die er ernähren müsse oder an das Problem der wachsenden Überbevölkerung? Wahrscheinlich würde er nach Mexico auswandern, da gebe es zur Zeit bei den Drogenkartellen noch einen steigenden Bedarf.
Zu allem Übel säße er jetzt auch noch auf einem riesigen Lager Sprengfallen, Landminen, Selbstschussanlagen und NATO-Draht – also Ware, die er seit der zunehmenden Öffnung der Grenzen einfach nicht mehr an den Mann bringen könne.
Bauer Lümmel meinte, das sei ja ein seltener Zufall, man könne sich vielleicht gegenseitig von Nutzen sein. Er ließ sich von dem Rüstungsvertreter noch auf einige Blonde und Kurze einladen und da dieser anschließend nicht mehr fahren wollte schaute man sich gemeinsam die Nacht über Lümmels Felder an und besprach die mannigfaltigen Einsatzmöglichkeiten verschiedener Produkte. Am nächsten Tag beschloss der Bauer, bei sich den außerordentlichen Mondschein Schneeball zu veranstalten. Der Sylvestertermin schien gerade richtig dafür.
Nic und ich freuten uns über diese Gelegenheit zur einer Party anlässlich des Jahreswechsels. Jeder bringt immer was zum Essen, was zum Trinken und was zum Werfen mit. Wir hatten einige Serrano-Schinken, ein paar Fässer Obergäriges und eine Palette alter Dachschindeln, die wir zu Bauer Lümmels Scheune transportieren wollten. Mittlerweile kam man auch ohne Raupe wieder voran, wenn man vorsichtig fuhr, denn es hatte vielfach getaut. Mit einem unserer Traktoren und Anhänger wäre das auch kein Problem gewesen, aber wir hatten vor kurzem einen kleinen Lastwagen gefunden, mit dem wir jetzt nach dem Umspritzen unbedingt mal ein bisschen rausfahren wollten. Wir hatten ihn in matten Tarnfarben gerollt, was eher aus der Not heraus geschehen war, da unsere gelagerten Lackreste einfach keine anderen Mischungen zugelassen hatten.
Die Fahrt verlief ohne jegliche Zwischenfälle. Als wir auf Lümmels Hof ankamen und abluden, war das Fest schon in vollem Gange. Das knusprige Fleisch roch in der klaren Winterluft besonders lecker und ein Schwätzen und Lachen erklang allüberall um uns herum. In der Scheune lagen Heuballen als Sitzgelegenheiten und solche die als Tische gedeckt worden waren. Die Musik spielte bereits auf und viele Paare tanzten.
Leider spielte die Kapelle hinter einem Verhau aus Hühnerdraht. Das war sehr schade, denn unsere Dachschindeln waren famose Wurfgeschosse, die man wunderbar ähnlich einem Diskus schleudern konnte. Die anderen Gäste waren ebenfalls gut mit Steinen, Flaschen, Unrat und ähnlichem ausgestattet für den Fall, dass ihnen mal ein Lied oder ein Gesicht nicht gefiel. Die Jungs spielten jedoch wirklich gut, darum gaben sie uns kaum Anlass etwas auf sie zu werfen. Der Hühnerdraht wäre vielleicht gar nicht nötig gewesen. Aber letztlich ist es mit den Wurfgeschossen ja wie mit einem üppigen Essen, es darf ruhig etwas überbleiben.
An einem Tisch in der Ecke, ganz für sich saßen die Herren, die in letzter Zeit schlechte und unwahre Dinge über uns verbreitet hatten. Wir hatten sie eingeladen damit sie sich ein besseres Bild von uns machen konnten. Doch sie saßen zusammengedrängt und schauten neidisch und missmutig auf das bunte Treiben, ja, sie versuchten schlechte Laune zu verbreiten. Ab und zu warf jemand einen Backstein oder eine halbverweste Ratte nach ihnen. Doch musste man vorsichtig zielen, es sei dann man wollte die Leute treffen, die wir abgestellt hatten um dafür zu sorgen, dass die Spaßbremsen unsere Feier nicht etwa vor dem Ende verließen.
Der Vortrag des Rüstungsvertreters begann gegen zehn. Er erklärte, dass Menschen wie wir mit der Größe unseres Landes, mit dem stattlichen Ertrag unserer Felder und mit der Bedeutsamkeit unseres selbstgewählten Auftrags ein große Verantwortung übernommen hätten. Es sei daher unser Recht, ja sogar unsere Pflicht, unser Land und unsere Ernten vor jedwedem Unheil zu beschützen und es gegen solche zu verteidigen, die Übles im Schilde führten. Solche gäbe es viel zu viele, Touristen, die von den Wegen abwichen, streunende Hunde, Bundespolizei, Agraraufsicht, Umweltschutzbehörde, Zoll – kurz: Man könne sie alle in einen Sack stecken. Schließlich steckten sie ja auch ihre Nase in Dinge, die sie nichts angingen. Und müsse man sich nicht manchmal traurigerweise sogar vor dem eigenen Nachbarn schützen? Dies sei eine gefährliche Zeit.
Bauern spenden in der Regel für nichts und niemandem irgendwas – mit einer Ausnahme. Wir spendeten Beifall, indem wir mit unseren Flaschen und Gläsern gegeneinander klopften. Dieser Mann konnte wirklich gut reden und: Er verstand uns Bauern.
Nun, er hielte die Lösung für uns parat. Er sei in der Lage, uns bestes Gerät zum Schutz unseres Eigentums, unserer Wohnstätten und vor allem unserer „besonderen” Felder zu liefern und zwar zu einem derzeit sensationellem Preis. Dann erging er sich ausnehmend in Details, die nichtsdestotrotz sehr interessant waren.
Als er auf Kameraüberwachung sowie Laser- und Satellitengestützte Systeme zu sprechen kam, flogen einige Dachpfannen und Steine. Solchen Dingen misstraut der traditionelle Bauer noch. Besonders den Preisen dafür misstraut der traditionelle Bauer noch.
Doch das Angebot für den konventionellen Schutz unserer Landflächen sagte uns sehr zu. Außerdem interessierten wir uns für Abwehrmaßnahmen gegen Überwachung aus der Luft und aus dem All. Hier bestand grundsätzlich die Möglichkeit einer Geschäftbeziehung in der Zukunft, falls wir mit seinen Artikeln zufrieden sein sollten.
Mittlerweile ging es auf Mitternacht zu. Bauer Lümmel unterbrach ihn nun, denn schließlich sei es Sylvester und da wolle man auch ein bisschen mehr als die Korken knallen lassen. „Wir danken unserem freundlichen Vertreter der Rüstungsindustrie für seinen überaus empathischen und ansprechenden Vortrag. Da in paar Minuten das neue Jahr beginnt, wollen wir nicht auf das entsprechende Feuerwerk verzichten. Zudem wird uns Gelegenheit gegeben werden, hier und sofort die Qualität der Produkte meines kompetenten Vorredners zu testen. Lasst uns darum alle jetzt hinaus gehen. Ich hab da schon mal was vorbereitet.”
Lümmel hatte ein Stück von seinem Hof entfernt einen brachliegenden Acker präpariert, zu dem er uns jetzt führte. Dann verabschiedete er unsere kritischen Spielverderber. Der Fortgang der Feier sei nun leider einer geschlossenen Gesellschaft vorbehalten, wofür er um ihr Verständnis bat. Auch bedauerte er, dass offensichtlich ihre Fahrzeuge gestohlen worden seien – „Ein unerhörter Vorfall!” beteuerte er. Dummerweise seien nun alle Gäste zu betrunken, um sie noch heim zu fahren. Aber nur achthundert Klafter in diese Richtung läge eine Bushaltestelle, da könnten sie morgen früh den ersten Omnibus nehmen. Ja, genau, in diese Richtung, sie könnten einfach den Weg über diesen brachliegenden Acker nehmen. Inzwischen war es endlich soweit und die Menge begann rückwärts auf zwölf Uhr zu zählen.
„Frohes Neues Jahr!” Nic und ich küssten uns und stimmten anschließend überein, dass der Gastgeber sich mit dem Feuerwerk wirklich alle Mühe gegeben hatte.
O mann, ich lach mich gleich weg. ich war Silvester wohl auf der falschen Party. Weiter so, freu mich schon auf weitere feste Feste der Dorfgemeinschaft.