Vollgas im Abo – 67 Jahre Hot Rod Magazine

Wer im Januar 1948 in Deutschland mit einem rostigen Damenfahrrad durch verwüstete Straßen cruiste, der war mobilitätstechnisch schon ganz weit vorne, dem lagen die Trümmerfrauen zu Füßen. Von einem eigenen Moped träumte man äußerst leise und heimlich unter der Bettdecke, lediglich an den Besitz eines eigenen Autos zu denken galt als obszön. Wer ab und an unverschämte 1,50 Reichsmark abzwacken konnte, der griff zur seit 1946 erscheinenden ‘Das Auto’, dem Vorgänger der Auto, Motor und Sport. Ansonsten blieb Petrolheads im Nachkriegsdeutschland nichts anderes übrig, als den wenigen vorbeifahrenden Autos hinterher zu gucken.

5.600 Meilen weiter westlich sah die Lage im Januar 48 ein bisschen entspannter aus. In Süd-Kalifornien friert keiner, man trägt T-Shirt und echte Rebellen fahren im selbst zusammengezimmerten Hot Rod zur Arbeit. Im Großraum LA liegt man nachts nicht wach und fragt sich, wie man überhaupt erstmal an ein eigenes Auto kommt, man wälzt sich im dünnen Laken und brütet über schärfere Nockenwellen, höhere Verdichtung und wie man mit seinem Bock endlich die magische 100 mph-Mauer (161 km/h, die Red.) durchbricht.

Drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs war das Hot Rodding in Southern California voll im Gange, es gab Tote und Verletzte bei illegalen Straßenrennen, Dorf-Sheriffs waren mit rebellierenden Jugendlichen und untermotorisierten Streifenwagen gleichermaßen überfordert. Es herrschte das totale Chaos, Kleinstadt-Gazetten sprachen vom Motor Mayhem, das Bürgertum verharrte in Angst und Schrecken, wenn die jungen Wilden in ihren zusammengebratenen Kisten die Main Street runterballerten. Im Januar 48 brachte der gerade erst volljährig gewordene Robert E. Petersen das Hot Rod Magazine, die erste Zeitschrift ihrer Art, an den Start und gab der Vollgas-Jugend eine Stimme. Schrauber-Tipps, den Hot Rod des Monats, Werbeanzeigen und Rennergebnisse vom Huntington Beach Speedway, aus dem Bonelli Stadium und aus Culver City.

Hot Rod Magazine 1954

Hot Rod Magazine 1954

Hot Rod Magazine No. 1 ist inhaltlich aus heutiger Sicht nichts Besonderes, aber was das Heft für die Rodder der ersten Stunde bedeutete, können wir, die Youtube-Instagram-Facebook-Generation, die immer “on” ist, nichtmals im Ansatz auch nur erahnen. Man hatte plötzlich eine monatlich erscheinende Plattform, endlich ein Medium, von dem man verstanden und nicht nur verteufelt wurde und man wusste von nun an alle vier Wochen für schmale 25 Cent bescheid. Entgegen der weitverbreiteten Meinung war Wally Parks, der spätere Gründer der National Hot Rod Association (NHRA), kein Redakteur der allerersten HRM-Ausgabe. Kein einziger Artikel stammt von Wally, im Impressum steht er auch nicht. Regel Nummer 1 für den Hot-Rod-interessierten Leser: gratis Online-Enzyklopädien und Billig-Blätterbücher zum Thema besser links liegen lassen und rechts dran vorbei fahren.

In den Fünfzigern wuchs die Hot Rod Szene immer weiter

… und verbreitete sich wie ein Virus in den ganzen USA. Das Hot Rod Magazine machte prächtig Auflage und fuhr Gewinne ein, von denen heute jede Redaktion nur träumen kann. Aber niemand außer Günter Strack isst einen Kuchen ganz alleine. 1951 rutschte Issue #1 des Hop Up Magazines, ein Sideproject der etablierten Neuwagen-Zeitschrift Road & Track, aus der Presse, zwei Jahre später wurde die Rods & Customs (ebenfalls aus dem Hause Road&Track) auf den Markt geworfen. Aber Robert E. Petersen machte die neue Konkurrenz nicht sonderlich nervös, er kaufte einfach beide Magazine 1955 auf und gliederte sie in seinen Konzern ein.

Träge wie Industriegiganten nunmal sind, reagierten Detroits Autohersteller erst in den Sechzigern auf den Hot Rod Wahnsinn. 1964 wurde mit dem Pontiac GTO das erste Muscle Car vorgestellt. Ein Big Block V8 in einem zweitürigen Mittelklasse-PKW, über 300 PS und Beschleunigung satt für knapp 3000 Dollar. To the Bone Hot Rodder spotteten zwar über den “Factory Hot Rod”, aber die neue Fahrzeuggattung begeisterte immer mehr Jugendliche, die sich nicht erst ihr eigenes Beschleunigungswunder in Papis Garage aus Vorkriegsschrott zusammen braten wollten. Muscle Cars aller US-Hersteller wurden ein Riesenerfolg, die Kids der Sechziger wollten fünf Meter lange Karossen mit Hüftschwung, bösem Blick, Performance ab Werk und einer Alltagstauglichkeit, die ein 32er Ford so nicht bieten konnte. Um Leserschwund zu verhindern, öffnete man sich redaktionell gegenüber schnellen Neuwagen, sicherte sich dadurch im Gegenzug teure Werbeanzeigen der Autohersteller und lebte weiter wie die Made im Speck. Das einstige Freak-Magazin für Selberschrauber war in der bunten Konsumwelt angekommen und Großkonzerne übten als zahlungsstarke Werbekunden hinten rum Einfluss auf die Petersen Publishing Company aus. Regel Nummer 1 der Menschheitsgeschichte: viel Geld und Rebellion vertragen sich genauso gut wie Captain America und Osama bin Laden.

Hot Rod Magazine 1959

Hot Rod Magazine 1959

Das Hot Rod Magazine umfuhr 1973 nicht weniger erfolgreich die Ölkrise, überlebte die Airbrush-Custom-Ära der Mitt-Siebziger, als Performance plötzlich egal war und jeder einen Van mit Plüschausstattung haben wollte, überlebte die Achtzigerjahre, als die USA in japanischen Kleinwagen zu ersticken drohte und überstand bemerkenswerterweise die Neunziger, als einfach jeder scheiße angezogen war. Seit Anfang des neuen Jahrtausends ist die Menschheit wieder zur Besinnung gekommen und Old School Hot Rodding steht erneut hoch im Kurs. Mit über 600.000 verkauften Exemplaren pro Ausgabe steht das Hot Rod Magazine weiterhin gut im Futter und mit dem Online-Videoformat Roadkill lancierte man vor drei Jahren die beste Autosendung des Internets. In bisher 37 Folgen fahren die HRM-Redakteure Mike Finnegan und David Freiburger in mehrheitlich schrottreifen V8-Tankern quer durchs Land, bleiben an den unmöglichsten Orten liegen, haben trotzdem Spaß und trinken dabei sehr viel Bier. Die Zukunft des Hot Rod Magazines liegt in den Händen zweier Wahnsinniger und scheint genau deshalb gesichert. Und sollte Mutter Erde morgen das Erdöl ausgehen, Finnegan und Freiburger fällt auf dem Standstreifen schon eine Lösung ein…

Text: Norman Gocke

2 Comments

  • Franz Miller sagt:

    Humorvoller und informativer Beitrag über die Geschichte der Hot Rods, vielen Dank dafür! Wahnsinn, dass sich die Zeitschrift so gut durch die letzten Jahrhunderte mogeln konnte. Schade nur, dass die Regel mit der Unverträglichkeit von Rebellion und viel Geld sich heute kaum noch umsetzen lässt.

  • Jeff sagt:

    Sehr interessanter Text und gut und mit einem gewissem Maß an Witz geschrieben. Für mich sind auch heute noch Hot Rods die Rebellen jener Zeit. Heute aber nur noch schön anzusehen und sich zu denken: “man was man aber auch aus so einem Auto machen kann.

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