Der Name ist Programm beim neuen Album von Linda Gail Lewis, der Schwester des legendären Jerry Lee. Ohne Rücksicht auf modernen Zeitgeist und andere Sperenzchen widmet sich die 68jährige ihren musikalischen Wurzeln – swingendem Rockabilly, wehmütigem Country und munter nach vorne preschendem Rock’n’Roll. Dass die Rechnung aufgeht, liegt nicht zuletzt an der Art, wie Lewis (mittlerweile) das Klavier beherrscht – der Bruder lässt grüßen.
Aus dem Schatten des “Killers” heraus
Während ihrer Jugend verbrachte die 1947 geborene Linda Gail Lewis ihre Zeit hauptsächlich damit, Ihrem erfolgreichen Bruder zu folgen. Dabei bewies sie bereits ihre gesanglichen Talente, verewigt unter anderem auf “Seasons of my Heart”, der Rückseite der späten Sun-Single “Teenage Letter” von Jerry Lee Lewis. Zu einem Hit wurde das schunkelselige Country-Duett der Geschwister “Don´t let me Cross Over” 1968.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Lewis bereits eine Solokarriere eingeschlagen. Der erste Top-40-Hit folgte allerdings erst 1972 mit “Smile Somebody Loves You” und sollte vorerst auch der letzte bleiben. Während sich der Killer von den Skandalen Ende der 50er erholte und einen Country-Hit nach dem anderen vom Stapel ließ, nahm sich seine Schwester erst einmal eine Auszeit, um sich ihrer Familie zu widmen. Nach ihrer Rückkehr ins Showgeschäft veröffentlichte sie einige von der breiten Öffentlichkeit wenig beachtete Alben auf kleinen Labeln bevor sie zum Duett-Partner eines der schwierigsten Gestalten im Showbusiness wurde. Van Morrison hatte es zuvor schon mit Carl Perkins versucht – was desaströs geendet hatte – und Jerry Lee erfolglos Avancen gemacht. Nun war es Linda Gail, die sich der trinkfreudige Sänger und notorische Grantler als Partner für sein “Back to the Roots”-Projekt ausgesucht hatte.
“You Win Again” hieß das Resultat in Albumform, das erst einmal niemanden so richtig überzeugte – weder Kritiker noch eingefleischte Van-Morrison-Fans. Dazu kam, dass die Zusammenarbeit von Lewis und van Morrison erwartungsgemäß nicht lange hielt. Letztendlich beschuldigte die Sängerin den Iren sogar der sexuellen Belästigung, ließ die Vorwürfe aber noch vor einem Prozess fallen.
Zurück zu den Wurzeln – Linda Gail Lewis in Rock’n’Roll-Form
“Hard Rockin’ Woman” ist nicht zuletzt deshalb ein besonderes Album von Linda Gail Lewis, weil die Sängerin hier ihre beachtlichen Pianokünste á la Jerry Lee vorführt. Diese sind alles andere als selbstverständlich – trotz des Lehrers in der eigenen Familie. Denn bis sie etwas 40 war, hatte Lewis mit dem Klavierspielen wenig am Hut. Umso beeindruckender ist es, mit welcher Überzeugungskraft sie auf ihrem neuen Album in die Tasten haut. Unterstützt wird sie dabei unter anderem von ihrer Tochter Annie Marie an den Vocals (Leadvocal bei “Spell Bound”) und Gitarren-Virtuoso Danny B. Harvey.
Das Ergebnis ist ein durch und durch altmodisches Rock’n’Roll-Album, live aufgenommen und sprühend vor Spielfreude. Neben flotten Gesangsnummern wie “Rockin’ my Life away” oder dem Titel-Song “Hard Rockin’ Woman” gibt es lässig groovige Instrumentals (Little Baby Rock), beschwingten Gospel (“And Now I Win”) und rockigen Country (“Battle With The Bottle”). Dabei muss sich Lewis vor Wanda Jackson keinesfalls verstecken – auch wenn sie stimmlich nicht ganz mit der Rockabilly Queen mithalten kann, macht sie dies durch ihr Klavierspiel locker wieder wett. Dass dieses angenehm balladenarme Album bis auf einige Kleinigkeiten auch ohne Weiteres aus den 50ern stammen könnte, wird Fans von Oldschool Rock’n’Roll kaum stören – warum auch? Mit ihren 68 Jahren muss sich Linda Gail Lewis auch nicht mehr um den sogenannten musikalischen “Zeitgeist” kümmern. Das tun ohnehin genug, eine Musik wie diese spielen aber nur noch wenige, vor allem so überzeugend.