Die zweite Hälfte der 70er Jahre war die Hochzeit des Punk in England. Mit “Anarchy in the UK” und “God Save the Queen” wurden die Sex Pistols zum Dorn im Auge britischer Royalisten, The Clash veröffentlichten den musikalischen Meilenstein “London Calling” und die Presse brachte seitenlange Berichte über junge Musiker mit wirren Frisuren, die sich öffentlich erbrachen und Moderatoren im Fernsehen als “dirty fucker” beschimpften. In diese Zeit, in der auch der “gute alte Rock’n’Roll” wieder zum Leben erwachte, fiel die Gründung eines der legendärsten englischen Rockabilly Labels: Nervous Records
Roy Williams und “Jungle Rock”
Nach eigenen Aussagen hatte Roy Williams schon Rockabilly gehört, als ihm der Name noch gar kein Begriff war. Dass diese Musik eine besondere Rolle in seinem Leben spielen sollte, zeichnete sich jedoch schon bald ab. Anfang der 70er Jahre begann Williams in London als Dj mit seiner “Wild Wax Show” zu arbeiten und produzierte dabei ganz quasi seinen ersten Hit. Dabei handelte es sich um Hank Mizells “Jungle Rock”, einen Rock’n’Roll-Song, der nach seiner ersten Veröffentlichung 1958 zunächst sang- und klanglos untergegangen war.
Williams stieß auf die Wiederveröffentlichung von “Jungle Rock” in einer holländischen Bootleg Compilation und begann die Single Nacht für Nacht in seinen DJ-Sets zu spielen – mit Erfolg.
Schon bald machten Kopien die Runde’ unter Londons jungen Rock’n’Roll-Fans. Postwendend entschloss sich die Plattenfirma Charly Records, die Rechte an “Jungle Rock” zu erwerben und die Single offiziell wiederzuveröffentlichen. Dass diese daraufhin bis auf die Nummer 3 der englischen Charts kletterte und in Holland sogar zur Nummer Eins wurde, hatte wohl kaum einer der Beteiligten erwartet – am wenigsten Hank Mizell selbst, der gerade nichtsahnend in Murfressboro, Tennessee saß, als ihn die Einladung erreichte, seinen “Hit” in “Top of the Pops” zu präsentieren.
Frischer Rockabilly für die Punk-Generation – die Gründung von Nervous Records
Die erfolgreiche Promotion von Jungle Rock und Erfahrungen als Manager junger Bands hatten Roy Williams wertvolle Kenntnisse über die Musikszene vermittelt. Zudem waren die 70er Jahre eine Zeit, in der viele neue Labels in England und in den USA gegründet wurden, unter anderem Ronny Weisers Rollin’ Rock, heute ebenfalls ein Kultlabel in Rockabilly-Kreisen. Schließlich suchte Williams ohnehin nach einem Job, der mit größerer finanzieller Sicherheit einherging als das Auflegen. Die logische Konsequenz war die Gründung von Nervous Records im Jahr 1978. Mit “Rockabilly Guy” von den Polecats folgte ein Jahr später die erste Veröffentlichung und von da an ging es Schlag auf Schlag.
Angetrieben von dem unermüdlich nach spannenden neuen Acts Ausschau haltendem Williams entwickelte sich Nervous Records zum wichtigsten Label der aufblühenden englischen Psychobilly-Szene. Abgesehen von den Meteors gab es kaum eine größere Band des Genres (in England beziehungsweise Europa), die nicht zumindest eine Single bei Meteor aufnahm, von “Demented are Go” über “Nekromantix” bis zu “The Ricochets”. Dabei legte Williams stets Wert auf Abwechslung. Im Bemühen, sich nicht auf einen “House Label Sound” festzulegen, wie der Labelgründer in einem Interview formuliert, vertrieb Nervous Records neben Psychobilly straighten Oldschool Rockabilly und eine ganze Menge von Acts, die Rock’n’Roll ihren eigenen Stempel aufdrückten.
Vielseitigkeit und der Blick nach vorne kennzeichnen auch heute noch das Angebot von Nervous Records. So gehört zu den jüngst von dem Label veröffentlichten Acts der italienische Garagenrocker “Gene Crazed” genauso wie der swingende Neo Rockabilly von “Red Hot Trio” und die “Pink Kadillacs” mit Ihrem “Skifflebilly”. Nur Vinylfans kommen bei Nervous Records nicht auf ihre Kosten. Getreu seiner Devise, dass er Musik und keine Sammlerstücke verkaufen möchte, hat Williams schon längst auf MP3s umgestellt.
Diskografie – eine kleine Auswahl
Eine vollständige Diskografie von Nervous Records würde das hier zur Verfügung stehende Platzangebot sprengen. Als kleinen Einblick können aber die folgenden Titel dienen:
- The Polecats, Rockabilly Guy (1979)
- The Ricochets, Made in the Shade (1983)
- Frantic Flintstones, A Nightmare on Nervous (1987)
- Skitzo, Terminal Damage (1988)
- Torment, Hypnosis (1990)
- The Sharks, Phantom Rockers (1991)
- Nekromantix, Curse of the Coffin (1991)