Rockabilly lebt auch in Japan
In jedem Reiseführer von Tokio werden Touristen auf die Treffen der lokalen Szene im Yoyogi-Park hingewiesen, und das mit gutem Grund. Allein wer glaubt, schon alles an Tollen gesehen zu haben, was die Kombination von menschlichem Haar und Pomade hergibt, wird hier eines Besseren belehrt. Doch obwohl Style bei den jungen asiatischen Rockabillys eine besondere Rolle spielt, kann auch die zugehörige Musik auf eine lange Tradition im Land zurückblicken.
Früher Rockabilly und Rokabiri in Japan
Nicht nur in Deutschland, auch in Japan waren in den 50er-Jahren noch vielerorts GIs stationiert. Die brachten ihre eigene Musik und Kultur mit nach Fernost und manches davon fand über die Bars und Kinos rund um die Stützpunkte auch Verbreitung in der jungen einheimischen Bevölkerung. Zuerst war vor allem Country und Western populär, bald aber wurden japanische Jugendliche auch vom Rock´n´Roll- und Rockabilly-Fieber ergriffen.
Vor allem abseits der amerikanischen Militärstützpunkte war die Versorgungslage mit Originalaufnahmen allerdings dürftig. Vielerorts machten deshalb zunächst Coverversionen einheimischer Künstler den neuen Sound bekannt. Das begann bei Bill Haleys “Rock around the Clock”, der erstmals in einer sehr entspannten Version der Sängerin Chiemi Eri auf japanischen Plattentellern rotierte – mit einem japanisch-englischen Text.
Die “Three Rockabilly Men” und der Western Carnival
Wenig später erschienen Aufnahmen einheimischer Bands, die nicht so vornehm swingend wie Chiemi Eri zu Werk gingen, sondern das mit dem Rock genauso ernst nahmen wie die passende Haartracht. Dazu gehörten vor allem die sogenannten “Three Rockabilly Men”, Keijiro Yamashita, Mickey Curtis und Masaki Hiraou. Ihre Musik und die anderer japanischer Künstler, die amerikanischen Rockabilly mit japanischen Einflüssen mischten, wurde als “Rokabiri” bezeichnet.
Mit dem Nichigeki Western Carnival bekam “Rokabiri” Mitte der 50er-Jahre eine Heimstatt, die bald einen legendären Ruf erlangen sollte. Ungefähr 45 000 Besucher verzeichnete der Western Carnival innerhalb von 7 Tagen im Februar 1958. Darunter waren die ersten “Groupies” Japans. Vor allem Yamashita, Curtis und Hiraou wurden zum Ziel der Attacken japanischer Mädchen, die oft direkt aus dem Schulunterricht zu den Nachmittagskonzerten kamen. Sie warfen während der Konzerte Toilettenpapierrollen auf die Bühne und stürmten im Anschluss in Scharen auf ihre Idole zu – für die japanische Gesellschaft ein vollkommen neues Phänomen.
Die Rokabirizoku – die Halbstarken Japans
Die Rokabirizoku waren keine Musiker, erfuhren aber in der japanischen Presse eine besonders große Aufmerksamkeit. Ähnlich wie die Halbstarken in Deutschland oder die Teddy Boys in England waren die Rokabirizoku Jugendliche, für die der Sound und der Style von Elvis und Co. eine verlockende Alternative zu einer als langweilig empfundenen Mainstream-Kultur darstellte.
Wie Ihre europäischen Verwandten spielten auch die – in der Regel männlichen – japanischen Rokabirizoku mit dem Image ungebundener Rebellen. Sie schlossen sich in Gangs zusammen, streiften in Lederjacken und mit Tolle durch die Straße und wurden im Handumdrehen zum Bürgerschreck. Ihre Treffpunkte waren neben dem Western Carnival vor allem die Jazz Kissa (Jazz Cafés), kleine Bars, die es in Tokio an jeder Ecke gab und die schon längst nicht mehr nur Jazz spielten.
Ende des “Rokabiri Bumu”
Die Rokabirizoku waren wohl auch einer der Gründe, warum Rokabiri zum Ende des Jahrzehnts aus dem Programm von TV- und Radiostationen verbannt wurde und Künstler des Genres keine Auftrittsgenehmigungen mehr bekamen. Andererseits war der “Rokabiri Bumu” zu dieser Zeit schon dabei, sich zu erschöpfen.
Wie im Heimatland des Rockabilly selbst gehörten die nächsten Jahre der “soften Welle”. Einer ihrer größten Stars in Japan war ein ehemaliger Rokabiri-Sänger. Sakamoto Kyu hatte sich mit dem Rockerimage nie so wohl gefühlt. Umso besser ging es ihm mit seinen Balladen, die die Abkehr vom Rock´n´Roll in der japanischen Musikindustrie endgültig besiegelten. Das Ende des Rockabilly in Japan bedeuteten sie jedoch nicht. Dieser sollte sich als unbesiegbar erweisen.