Sailor Jerry – ein Meister der Körperkunst

"Dublin Streets - Sailor Jerry" by William Murph
"Dublin Streets - Sailor Jerry (...)" by William Murphy / CC BY-SA 2.0

Norman Collins alias Sailor Jerry war vieles – Seemann, Elektriker, Jazzmusiker, Biker. Vor allem aber war er ein Künstler. Bei aller Skepsis gegenüber “Was wäre wenn…”-Fragen lässt sich mit gutem Gewissen behaupten: Ohne Sailor Jerry wäre die Tätowierkunst heute nicht das, was sie ist.

Vom Landstreicher zum Seemann

Der 1911 in Reno (Nevada) geborene Norman Collins war eine rastlose Seele. Früh zog es ihn hinaus aus seinem Elternhaus und auf die Straße, beziehungsweise auf die Gleise. Wie viele andere Amerikaner zu dieser Zeit reiste Collins auf Zügen quer durch das Land und verdiente sein Geld mit Gelegenheitsjobs, wo immer es sich anbot. Dabei begann er bereits, seine künstlerische Ader auf der Haut von Zeitgenossen auszuleben – zunächst nur mit einer Nadel und schwarzer Tinte.

Motive von Sailor Jerry sind überall gegenwärtig

Motive von Sailor Jerry sind überall gegenwärtig

In Chicago lernte Collins seinen ersten Lehrer kennen. Gib “Tatts” Thomas war ein anderer Abenteurer, der in jungen Jahren ausgezogen war, um die Welt zu sehen, und zu dieser Zeit bereits eine kleine Legende. Er war es angeblich auch, der Collins den Umgang mit der Tätowiermaschine beibrachte. Dabei, so erzählt es eine Anekdote, brachte der Lehrer seinen Schüler ins örtliche Leichenschauhaus, um an einem Körper zu üben, dessen Besitzer sich nicht mehr über missratene Tattoos beschweren konnte. Dass der vermeintliche Leichnam sich plötzlich aufsetzte und zu schreien begann, bescherte Collins fast einen Herzinfarkt und seinem Mentor einen Riesenspaß.

Lange hielt es den jungen Tätowierer nicht in Chicago. Inspiriert von seinen vielen zur See fahrenden Kunden und angetrieben von einer lebenslangen Lust auf Abenteuer, schrieb sich Collins 1928 in der Navy ein.

Die Liebe zum Meer und zu asiatischer Körperkunst

Collins Beiname “Sailor” kommt nicht von ungefähr. Das Reisen, die Kameradschaft auf hoher See und faszinierende Abstecher in exotische Länder sorgten dafür, dass der Tätowierer früh eine lebenslange Liebe zum Seemannsleben entwickelte. Bis zu seinem Tod kehrte er immer wieder aufs Wasser zurück, ob auf Handelsschiffen oder Ausflugsbooten. Eine andere seiner Leidenschaften galt asiatischer Tätowierkunst. Japanische Tätowierer (Horis) waren Anfang des 20. Jahrhunderts Meister ihrer Profession. Sie entwarfen vielschichtige Gesamtkunstwerke auf den Körpern ihrer Kunden mit Techniken, von denen amerikanische Tätowierer noch nie etwas gehört hatten – bis Sailor Jerry kam. Er war einer der ersten, der in Kontakt mit den Horis trat und bis zuletzt blieb.

Honolulu Harbor 1939

Honolulu Harbor 1939

Auch in seiner Wahlheimat pflegte Collins rege Beziehungen zur asiatischen Welt. Anfang der 30er Jahre ließ er sich in Hawaii nieder. Honolulu war zu dieser Zeit geprägt von vielen amerikanischen Seeleuten und Soldaten, die sich nachts in den unzähligen Kneipen und zwielichtigen Etablissements der Stadt auf die Suche nach Zerstreuung begaben. Sich ein Tattoo stechen zu lassen, gehörte für viele von ihnen genauso zu einem Landgang wie der obligatorische Barbesuch und der anschließende Abstecher ins Bordell. In dieser rauen Umgebung erwarb sich Sailor Jerry Collins seinen Ruf als Meister der Körperkunst,  zunächst in den Arkaden auf der berüchtigten Hotel Street, später in Tattoosalons wie Tom & Jerry’s Tattoo Shop.

Dickköpfig, patriotisch und für jeden Streit zu haben

Dass Norman Collins ein ausgesprochener Sturkopf war, zeigte sich schon früh. Daher rührte auch sein Spitzname Jerry. So hieß nämlich ein familieneigenes Maultier, das Normans Vater zeitweise an seinen eigenen Sohn erinnerte. Auch später ließ sich Sailor Collins nicht beirren, hatte er einmal eine Entscheidung getroffen. So nahm er in den 50er Jahren aus reinem Frust über eine Strafgebühr der Steuerbehörde eine zehnjährige Auszeit als Tätowierer. Angeblich musste er sich in dieser Zeit oft auf Umwegen nach Hause schleichen, um potenziellen Kunden zu entgehen, die den legendären Tätowierkünstler zu einer “Ausnahme” überreden wollten.

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Anker, Herzen und leichtbekleidete Frauen gingen in Sailor Jerrys Motiven Hand in Hand

Auch wenn es um Politik oder damit verwandte Themen ging, kannte Collins keinen Spaß. Als bekennender Konservativer und feuriger Patriot war ihm der Spirit der 60er Jahre ein Dorn im Auge. Pazifisten, Linksliberale und Hippies fanden in seinen Augen keine Gnade. Dabei legte man sich besser nicht mit dem hünenhaften Tätowierer an. Er ging keinem Streit aus dem Weg und zog auch mal das Messer, wenn er es für notwendig befand. Seine Überzeugungen verewigte Collins nicht zuletzt auf dem Körper seiner Kunden. Die amerikanische Flagge, Adler, Kriegsschiffe und unmissverständliche Sprüche wie “Death before Dishonor” trafen in den Tattoos des Sailors auf halbbekleidete Damen, durchbohrte Herzen und Schwalben. Dabei brach immer wieder der mitunter etwas boshafte Humor des Tätowierers durch – auch dann, wenn dieser seinen Konkurrenten den “Tipp” gab, ihre Tinte mit Urin anzureichern.

Innovativ und einzigartig – Sailor Jerry Collins Körperkunst

Nicht nur seine Schüler wie Mike Malone und Don Ed Hardy hielten Collins für ein Genie. Heute gilt der Tätowierer als einer der wichtigsten Pioniere seines Fachs. Er brachte Eigenheiten der japanischen Tätowierkunst, vor allem die malerischen Hintergründe der Horis, mit ureigenen amerikanischen Symbolen zusammen. Dabei war Collins ein nimmermüder Perfektionist, immer bemüht, seine Technik zu verbessern. Dazu gehörte auch, dass er neue Tinten und Tattoomaschinen erfand und der erste Vertreter seines Fachs war, der seine Ausrüstung sterilisierte und mit Einwegnadeln arbeitete. Um seine Ausrüstung zu perfektionieren, absolvierte Collins sogar Kurse für Elektriker.

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Kurz vor seinem Tod zeigte Sailor Jerry Collins erneut seine Dickköpfigkeit. 1973 erlitt der Tätowierer einen Herzinfarkt und landete schweißgebadet auf dem Bürgersteig. Anschließend fuhr er mit seiner Harley nach Hause. Drei Tage später starb Sailor Jerry Collins. Seinen Tätowiersalon übernahm Mike Malone für die nächsten 25 Jahre.

Du möchtest mehr über die Geschichte der Tätowierkunst wissen? Vielleicht findest Du Anregungen in unserer Vorstellung von Lesetipps für Tattoo-Fans.

 

Fotos by:

“Dublin Streets – Sailor Jerry is a straight-up, no-nonsense rum” by William Murphy / CC BY-SA 2.0

My New Chucks by Dennis Brekke / CC BY-SA 2.0

Sailor-Jerry-Anchor-Tattoo by Iburiedpaul / CC BY-SA 2.0

 

 

 

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