Eine Selvage Jeans muss es sein. Ich kam nicht umhin, einem Gespräch in unserem Essener Ladenlokal „Red Hot and Blue“ zu lauschen, bei dem zwei Mädels sich darüber unterhielten, warum und wieso ihre Männer immer mit Selvage Jeans nach Hause kommen und vor allen Dingen, warum man dafür immer so viel Geld ausgeben muss. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass diese guten Stücke viel zu wenig Wasser und Waschmittel sähen während ihrer langen Tragedauer. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, denn die gleichen Gedanken hatten mich geplagt, bevor ich mich tiefer mit der Materie befasste. Die folgenden Zeilen gehen an alle, die gerne Licht in das Dunkle gebracht haben möchten oder sich nochmal bestätigt sehen möchten in ihrer Treue zu und Faszination für Selvage Denim.
Das hochwertige Gut Selvage
Namensgeber und eindeutiger Hinweis auf das hochwertige Gut Selvage (oder auch Selvedge) Denim ist die saubere Webkante an beiden Seiten des Jeansstoffes.
Das Wort “Selvage” kommt von dem englischen Wort “self-edged”. Das steht für die “echte”, also keine abgeschnittene Webkante eines Stoffes. Diese Webkante ist schmal und dicht gewoben. Die weißliche Webkante wird normalerweise mit einem farbigen Faden fixiert, wobei Rot die wohl am weitesten verbreitete Farbe ist. Die farbigen Fäden wurden ursprünglich von der Firma Cone Mills – einem amerikanischen Denimstoffhersteller, dessen Tradition zurück bis in das Jahr 1891 reicht – eingeführt, um recht schnell und einfach, die Stoffballen der Hauptkunden unterscheiden zu können.
Levis hatte zum Beispiel anfangs eine weiße Kante – später wurde die Webkante mit dem roten Faden zum Erkennungsmerkmal. Die Firma Lee hatte einen blauen oder grünen Faden und Wrangler einen gelben.
Selvage Denim kann nur auf Schützenwebstühlen gefertigt werden. Diese Webstühle weben den Stoff mit nur einem Schussfaden, der immer wieder die komplette Breite des Webstuhls zurücklegt. Wenn dieser Faden an den jeweiligen Enden zurück in den Denim geführt wird, entsteht die sogenannte “self-edge” oder Selvage. Diese Selvagekante hat den Vorteil, dass die Kanten nicht ausfransen wie bei herkömmlichen Webkanten, die beim Weben auf den moderneren Projektilwebstühlen entstehen. Die Schützenwebstühle arbeiten sehr viel langsamer und können eine sehr viel geringere Stoffbreite produzieren. Bei Projektilwebstühlen erreicht man eine Stoffbreite von ca. 150 cm – bei Schützenwebstühlen lediglich ca. 80 cm. Das bedeutet, dass ein sehr viel längeres Stück Stoff notwendig ist, um eine einzige Jeans zu fertigen. Genau aus diesem Grund ist Selvage Denim so hochwertig und teuer.
Der Denimstoff wird im Allgemeinen ungewaschen und in seinem rauhen Ursprungszustand zur Jeans verarbeitet und angeboten – also als Raw Denim. Beim Eintragen erzielt man eine besonders schöne und individuelle Abnutzung/ “Waschung”, wenn man die Raw Denim beziehungsweise Selvage Jeans 6 – 8 Monate täglich trägt – ohne die Hose zu waschen. Denn beim anschließenden, ersten Waschvorgang wird der momentane Zustand fixiert. Das heißt, dass sich die Farbe danach gar nicht bzw. nur noch extrem langsam verändert. Jeansfreaks empfehlen ,solche Hosen überhaupt nicht zu waschen. “Tragen, tragen, tragen” ist die Devise. Wenn überhaupt Hand angelegt werden muss, dann trocken reinigen.
Selvage-Webstühle haben ihren Ursprung in Amerika. Sie waren sehr verbreitet von Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts. Aufgrund der steigenden,weltweiten Nachfrage nach Jeans in den 60ern bis 80ern wurden in Amerika die Webstühle rationalisiert, um eine schnellere sowie effektivere Produktion erreichen zu können. Die alten Schützenwebstühle wurden modernisiert oder komplett durch Projektilwebstühle ersetzt und somit überflüssig. Sie fanden ihren Weg hinter die Werkshallen.
Den meisten wurde ein zweites Leben eingehaucht, denn der japanische Markt kaufte sehr viele dieser alten Webstühle auf und legte damit das Fundament, um heute der führende Hersteller von klassischen Selvagewaren zu sein.
Selvage Denim aus Japan
Selvage Denim wird weltweit produziert, aber die besonderen Denim-Enthusiasten schwören auf die Jeansstoffe aus Japan. Diese werden auf Originalwebstühlen gefertigt und beruhen auf klassischem Handwerk. Moderne Webstühle, auf denen Selvageware hergestellt wird, sind im Gegensatz dazu schnell und effizient. Sie erstellen eine präzise und gleichmäßige Ware. Aber genau das wollen eingefleischte Selvagefans nicht.
Sie wollen die Verschiedenartigkeit und Unvollkommenheit der Ware der alten Webstühle. Auch die traditionellen Färbe- sowie Ausrüstungsprozesse des japanischen Selvage Denims spielen hier eine Rolle. Für all das sind echte Selvage-Fans bereit, viel Geld in die Hand zu nehmen, denn eine fertige Jeans aus so einer Ware geht oft erst für mehr als 300 Euro über den Ladentisch.
Diejenigen, die nicht ganz so tief in die Tasche greifen und dennoch eine hochwertige sowie langlebige Jeans ihr Eigen nennen möchten, mit der sie sich ebenfalls ein kleines Stück Geschichte erkaufen, sei gesagt, dass auch die Selvage Jeans, die auf modernisierten Schützenwebstühlen gewoben sind, die grundlegenden Eigenschaften der mittlerweile wieder heißbegehrten Selvageware mit sich bringen. Der einzige Unterschied: Ein zeitgemäßer Herstellungsprozess.
Text: Mareike Ewerhard