Illegale Straßenrennen in den 50ern

Speed is the Killer – Illegale Straßenrennen in den 50ern

Dragstrip_Riot

Dragstrip Riot

Wenn heutzutage Jugendliche mit AMG-Mercedes und M5 BMW die Vorstädte terrorisieren, rufen sogar Outlaw-Rock’n’Roller irgendwann die Polizei. Hot Rodding finden wir alle aber geil. Dabei waren die Hot Rodder der ersten Stunde genau so Asphaltterroristen mit gegelten Haaren, wie die Speedjunkies, die heute V8-befeuert Gewerbemischgebiete und Hauptausfallstraßen gummimordend unter die Räder nehmen. Mit dem Unterschied, dass die Urväter illegaler Ampelspurts noch selber an ihren Karren schraubten, man auch ohne ESP und Spurhalteassisstenten die Karre in der Spur halten konnte und in punkto Style jeder tiefergelegte CL AMG gegenüber einem gechoppten 32er Ford Five Window Coupe hoffnungslos abstinkt. Technologisch hat die Menschheit in den letzten 60 Jahren zwar einen riesen Satz gemacht, soziologisch bleibt aber alles beim Alten. Das Leben dreht sich weiterhin ausschließlich um dicke Schlitten, Beschleunigung und schöne Frauen, die man nach einem siegreichen Rennwochenende nach Hause pilotiert. Der Mensch, der geborene Rock’n’Roller.

Illegale Straßenrennen sind so alt wie die individuelle Mobilität. Ob Postkutschenrennen im Wilden Westen oder Duelle unter Jugendlichen mit geklauten Fahrrädern in den goldenen Zwanzigern. Geschwindigkeit und Competition sind untrennbare Geschwister. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg eskalierte die Rennerei im öffentlichen Straßenverkehr. Kriegsheimkehrer in den USA hatten dank üppigem Army-Sold die Taschen voller Geld und litten unter der spießigen heilen Welt Suburbias. Lebensgefahr und Adrenalinausschüttungen im Literbereich gehörten für sie im Krieg zum normalen Tagesablauf, nicht gemütliche Sonntagsspaziergänge und ausgiebige Wocheneinkäufe in der neuen, heilen Konsumwelt der Nachkriegszeit. Apropos Konsum: während Europa noch brach lag, rotierten in Detroit bereits wieder die Fließbänder. Vom Airstream-Design inspirierte Pontonkarosserien waren der letzte Schrei und degradierten Vorkriegsfahrzeuge mit ihren freistehenden, kutschenähnlichen Kotflügeln zu antiken Fortbewegungsmitteln der stilistischen Steinzeit. Die Preise für Autos der Zwanziger- und Dreißigerjahre fiel rapide, bester Nährboden für eine radikale automobile Subkultur, der nichts außer Geschwindigkeit heilig war. Hot Rodding, in den späten Zwanzigern und Dreißigerjahren noch ein reines Tech-Nerd-Hobby weniger Spezialjugendlicher, wurde zum Mainstream-Phänomen einer rebellierenden Subkultur, insbesondere im Mutterstaat der Bewegung, in Kalifornien. Anfangs fanden sich Speedfreaks und Rodder am Wochenende auf den Salzseen in der Mojave Wüste wie Muroc und El Mirage ein und holten sich dort ihre Kriegsersatzbefriedigung jenseits von 100 MPH. Doch je größer die Szene wurde und je wilder der Rock’n’Roll die Jugend machte, desto mehr verlagerten sich die Rennen zum Leidwesen der untermotorisierten Sheriffs in den innerstädtischen Bereich. Überlieferungen zu Folge lieferten sich sogenannte Outlaw Hot Rodder sogar zu Trockenzeiten nächtliche Dragraces im betonierten Flußbett des Los Angeles Rivers, wenn sie nicht gerade kurzerhand Straßen sperrten, um gegeneinander zu fahren. Rock’n’Roll-Musik und Hot Rodding verschmolzen zu einer tödlichen, rebellierenden Subkultur.

Hot Rot Rumble

Jede Nacht gab es Tote bei illegalen Straßenrennen, das defensiv fahrende Bürgertum sah sich dem Untergang geweiht und Filme wie Hot Rod Rumble, Dragstrip Girl (beide 1957) oder Hot Rod Girl (1956) verschafften der Szene staatenweit noch größeren Zulau

Polizeisperren, verstärkte Kontrollen und Aufklärungsfilme, wie Road Runners, versuchten der Jugend am Lenkrad vergeblich Manieren bei zu bringen. Laut einem Information Report der American Society of Planning Officials vom Mai 1955 wurden während einer einzigen Rennveranstaltung auf dem Muroc Salzsee 27 Kids bei Unfällen getötet und in einer Nacht in Los Angeles allein 187 Hot Rodder von der Polizei festgenommen.

“All of the bad characteristics of young drivers have been lumped together in the mind of the public as hot rodding.”

American Society of Planning Officials

Angesichts der, vorsichtigen Schätzungen zu Folge, über zwei Millionen Hot Rodder in den USA Mitte der Fünfzigerjahre, kapitulierten die Behörden vor der schieren Übermacht der übermotorisierten Halbstarken. Polizeiliche Repression und Kontrollen an einigen Punkten der Stadt verlagerten das Problem nur in einen anderen Teil jener. Kooperieren statt kriminalisieren – schon früh rief man die Losung “Trophies now instead of Traffic Tickets” aus und versuchte mit einer Legalisierung des Hot Roddings auf abgesperrten Rennstrecken und professionell organisierten Veranstaltungen auf den Salzseen inklusive Sicherheitskonzept das Jugendphänomen zu kanalisieren und zu steuern. Heute versucht man Ähnliches mit Marihuana. Downers statt Speed zu legalisieren – soweit sind wir also gekommen. Vielleicht hat sich soziologisch doch in den letzten 60 Jahren etwas geändert…

street_racing

Die California Highway Police kooperierte zum Beispiel bereits von 1948 an mit den Hot Roddern, ehe ihr die Kooperation bereits 1953 von oberster Stelle wieder untersagt wurde. Mancher Entscheidungsträger fürchtete damals, dass das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit beschädigt würde, wenn die Polizei weiterhin mit rumrockernden Halbstarken in lebensgefährlichen und viel zu lauten Autos zusammenarbeite. Doch unterm Strich fiel die Liaison der ungleichen Partner “Autoritäten und Auto-Rocker” auf fruchtbaren Boden. Am 19. Juni 1950 wurden die Santa Ana Drags, der erste Dragstrip der USA, eröffnet. 1952 folgte der Car Club “Choppers of Pomona” und eröffnete dank der Hilfe von Police Sergeant Bud Coons den Autoclub Raceway at Pomona, den bis heute berühmtesten Dragstrip der Vereinigten Staaten. Coons Vorgesetzter, Pomona Police Chief Ralph E. Parker, war so angetan von dem Konzept, dass er 1953 in einem Bericht an den nationalen Sicherheitskongress unter der Überschrift “Living at Peace with the Hot Rodder” die Aussage tätigte, dass der Hot Rodder an sich nicht mehr länger ein Problem in Pomona, sondern Teil des Programms sei. Im Zuge der Legalisierung des Hot Roddings unter Beachtung gewisser Regeln, gründete Wally Parks, Chefredakteur des Hot Rod Magazines, 1951 die NHRA, die National Hot Rod Associaton. Die NHRA, heute der wichtigste Motorsportverband der USA, stülpte dem Hot Rodding ein Regelwerk über, veranstaltete Viertelmeilerennen mit Unfallverhütungssvorschriften und technischen Abnahmen, und formte Dragracing zum massentauglichen Zuschauersport.

Notiz an alle, die stolz einen NHRA-Aufkleber auf ihrem rostigen Opel spazieren fahren: die NHRA ist trotz des cooleren Logos im Grunde genommen genau so ein überreglementierter Spießerverein wie der ADAC. Die ganz harten Outlaw Rodder sparten sich die Meldegebühren der NHRA und fuhren auch weiterhin illegale Ampelrennen. Ohne Helm und technische Abnahme, mit Kippe im Mundwinkel und Puppe im Arm.

Text: Norman Gocke