Northern Band Style, Rockabilly, Car Sound, Doo Wop, New Orleans Sound … Die Spielarten des Rock ‘n’ Roll der 50er sind äußerst vielfältig. Ein gemeinsames Merkmal für nahezu alle Stile jener Ära ist aber, dass Gesang eine tragende Rolle spielt. Erst zum Ende des Jahrzehnts wurde instrumentaler Rock ‘n’ Roll immer populärer. Was nicht zuletzt zu dem in den frühen 60er-Jahren in Kalifornien entstandenen Surf Rock beitragen sollte. Jener Sound mit übermäßig verhallten Gitarren und kraftvollen dynamischen Melodielinien.
Der instrumentale Surf Rock ist die deutlich aggressivere Variante von dem, was als Surf-Musik mittels der mehrstimmigen Gesänge der Beach Boys oder Jan and Dean populär wurde. In den Texten der eher poppigen Variante des Surf wird das Leben in Kalifornien verherrlicht: Ewiger Sommer, ausgelassene Strandpartys, perfekte Wellen zum Surfen … Auch sind heiß gemachte Autos – speziell Hot Rods – ein viel besungenes Thema.
Soundtrack für Wellenreiter, Asphaltsurfer und Hot Rodder
Charakteristisch für den instrumentalen Surf Rock ist der hallbetonte Klang besonders energisch angeschlagener Gitarrensaiten. Es entstand ein zuweilen dramatisch klingender Soundtrack für Wellenreiter, Asphaltsurfer und Hot Rodder. Bei dem durchaus auch Bläser oder Keyboarder den Solo-Part übernehmen. Die Hauptrolle spielen allerdings nahezu ausnahmslos Gitarren.
Neben Link Wray, der 1958 mit “Rumble” Platz 16 in den Billboard Hot 100 erreichte, gehört vor allem Duane Eddy mit seinem durchgängig chart-brechenden, ausschließlich instrumentalen Rock ‘n’ Roll zu den Wegbereitern des Surf Rock. Sozusagen das Synonym für Letzteren sollte ein weiterer überaus talentierter Gitarrist werden: Dick Dale, dem 1962 mit “Miserlou” ein lokaler kalifornischer Hit gelang. Es gab etliche Nacheiferer, und der Surf-Sound schlug an der Westküste immer höhere Wellen. Zumindest solange, bis die Wogen 1964 durch den Erfolg der Beatles und die folgende “British Invasion” abebbten.
Stets auf der Jagd, nach einer Überdosis Hall.
Die Gitarristen, die den Surf Rock entwickelten, waren allesamt “Reverb Junkies” – mit verschiedenen Tricks und Mitteln stets auf der Jagd nach einer Überdosis Hall. Im Sog der Surf-Welle reagierte Musik-Instrumente-Hersteller Fender Anfang der 60er mit einem Hallgerät, dessen Klang bis in die Gegenwart zu einer Art Referenz für verhallte Gitarren-Sounds werden sollte. Noch bevor Leo Fenders Company damit begann, Hallspiralen in Gitarrenverstärker einzubauen, bot man einen kleinen Kasten an, der zwischen Gitarre und Verstärker gestöpselt wird. Dieses Federhallgerät ist mit Röhrentechnik ausgestattet und wie ein eigenständiger Verstärker aufgebaut – mit einer Eingangsvorstufenröhre und einer Endstufenröhre.
Am sogenannten “Reverb Tank” schätzen Gitarristen unter anderem, dass die Intensität des Halls mithilfe der Anschlagsdynamik deutlich wirksamer als bei einer in einen Verstärker eingebauten Halleinheit beeinflusst werden kann. Fender hatte mit seiner Reverb-Box einen echten Meilenstein gesetzt. Wohl nicht zuletzt deshalb, wurde das Gerät, welches bis heute im Equipment vieler Surf-Bands zu finden ist, 1994 als Reissue der Version von 1963 neu aufgelegt. Allerdings nur für kurze Zeit. Weshalb heute sowohl die alten Teile, als auch die Nachbauten begehrt und vielfach nicht gerade preisgünstig sind. Es gibt jedoch diverse erschwingliche Effektgeräte und digitale Plugins, die den Hall der Originale überaus akzeptabel simulieren.
Viele Feinheiten und Raffinessen
Auf technischem Weg erzeugter Hall ist essenziell für den Surf Rock, aber doch längst nicht alles! Maßgeblich ist vielmehr eine Kombination von vielen Feinheiten und Raffinessen, die Rock ‘n’ Roll erst so richtig nach Surf klingen lassen. Dick Dale beispielsweise, verwendete extra dicke Gitarrensaiten. Zudem ist der gekonnte Einsatz des Vibratohebels der Gitarre von Bedeutung. Auch machen sich viele Gitarristen den von Duane Eddy ausgetüftelten “Twang” zunutze. Dabei wird die Leitmelodie auf den Basssaiten der Gitarre gespielt und eine Kombination der Effekte Tremolo, Echo und Hall zum Einsatz gebracht. Nicht zuletzt charakteristisch für Surf Rock sind staccatohaft gespielte Gitarren. Bleibt eigentlich nur noch zu sagen: Let’s go trippin’!