The Hollister Bash – One Hell of a Mess
Dein Nachbar denkt bei “Hollister” nur an schlecht designte Kapuzenpullover, die sich Prolls der gehobenen Mittelschicht aus dem zweiwöchigen Kalifornien-Pauschalurlaub mitbringen? Schade. Wüsste der adrette Herr, dass das kleine Städtchen Hollister, 100 Meilen südlich von San Francisco gelegen, vor fast 70 Jahren der Geburtsort der heute vom Kleinbürgertum so gefürchteten Rockerbewegung war, er würde beim nächsten Mal in Hilfiger-Klamotten zum Tennis fahren.
Der 2. Weltkrieg hinterließ Spuren bei den jungen Heimkehrern der US Army. Traumatisiert von den Schlachtfeldern in Europa und im Südpazifik, fanden viele nicht mehr zurück ins bürgerliche Leben der amerikanischen Kleinstädte. Adrenalin, Gefahr und Geschwindigkeit gehörte zum gewohnten Tagesablauf, nicht Rasenmähen, Kirchgänge und ein Dasein als glücklicher Konsument. Viele Kriegsheimkehrer fanden eine sinnvolle Beschäftigung im Hot Rodding, anderen langten zwei Räder zur motorisierten Rebellion und hielten auf Triumph, BSA und Harley das miefige Kleinbürgertum in Schach.
Hollister war bis zum 4. Juli 1947
ein unbedeutendes, erdbebengefährdetes Städtchen in Kalifornien mit Main Street, ein paar Kirchen und einigen tausend bibel- und gesetztestreuen Bürgern. Am Independence Day 1947 veranstaltete die American Motorcyclist Association (AMA) erstmalig nach dem Krieg in Hollister eine dreitägige Motorradsportveranstaltung, die von 4.000 gesetzlosen Bikern (Hollister selbst hatte nur 4.500 Einwohner zu jener Zeit) überfallen wurde, die aus den gesamten USA anreisten und in ihr einen willkommenen Anlass sahen, den Weltkrieg fortzuführen. Hollister versank im Chaos. Man hielt sich nicht an den liebevoll usammengestellten Programmablauf, fuhr stattdessen illegale Rennen auf der Main Street, pöbelte rum, urinierte in der Öffentlichkeit und zerstörte mit Motorrädern die Inneneinrichtungen der örtlichen Bars.
Die unterbesetzte örtliche Polizei stand der Armada von 4.000 Wahnsinnigen machtlos gegenüber und Hollisters Polizeichef wurde später in der Presse mit „It’s just one hell of a mess“ zitiert. Am Abend des 6. April war der Spuk vorbei und man begann mit den Aufräumarbeiten. Zwar ging in Hollister ganz gut die Post ab, aber ohne die Anwesenheit eines Fotografens des LIFE Magazines wären die Hollister Riots ganz bestimmt nicht als die Geburtsstunde der Rocker-Bewegung in die Geschichte eingegangen.
Unter dem Titel „Cyclist’s Holiday– He and friends terrorize a town“
veröffentlichte das LIFE Magazine wenige Tage nach dem sogenannten Hollister Bash ein großformatiges Foto eines stinkbesoffenen Rockers auf Seite 31, der mit zwei Flaschen Bier auf einer Starrrahmen-Harley saß, unter ihm ein Meer leerer Bierpullen. Der wie Wolverine aussehende junge Mann im Bildhintergrund war Gus Deserpa, ein Einwohner Hollisters der nur zufällig mit aufs Bild gelangte. Der damals 31-jährige Deserpa erinnerte sich später, dass die LIFE-Journalisten die Bierflaschen auf der Straße zusammensammelten und unter die Harley legten, ehe sie einen zufällig vorbeikommenden, dicken Biker baten, sich auf das Motorrad zu setzen und zu posieren.
Die US-Öffentlichkeit hatte einen neuen Angstgegner, der Hollister Bash galt als Geburtsstunde der Rocker, obwohl es Rocker auch schon tags zuvor gegeben hat und die auflagenstarke Negativpresse bescherte der neuen Bewegung großen Zulauf durch gelangweilte Wohlstands-Kids. Die AMA sah sich durch die panische öffentliche Aufmerksamkeit zu einem Statement genötigt und der Legende nach verkündete ein Sprecher, dass weniger als ein Prozent aller Biker gesetzlose Rocker seien. Die ganz harten Jungs nahmen die Steilvorlage volley und trugen fortan als Symbol ihrer Individualität und ihres Glaubens an die persönliche Freiheit 1%-Patches auf ihren Joppen und nannten sich stolz One-Percenter. Die AMA bestreitet heute, jemals diese Aussage getätigt zu haben, hilft aber nix. Staatenweit schossen neue Clubs und Chapter wie Pilze aus dem Boden und 1948 gründete sich mit den Hells Angels der bis heute bekannteste und umstrittenste Club.
Hollywood griff die Ereignisse von Hollister 1953 stark überzeichnet in dem Streifen The Wild One mit Marlon Brando auf. An der Seite von Lee Marvin mimte Brando Johnny Strabler, den Anführer einer Motorradgang, die in Lederjacken eine verschlafene kalifornische Kleinstadt zerstören wollen. Genau wie der zwei Jahre später veröffentlichte James Dean-Film Rebel without a Cause, prägte The Wild One eine ganze Generation rebellierender Jugendlicher, unter ihnen auch Ober-Angel Sonny Barger, der laut eigener Aussage ohne Marlon Brando nie zum Rocker geworden wäre.
Film-Rocker Marlon Brando
der sich auch im wirklichen Leben keinen Konventionen unterwarf und sich zu einer Zeit für die Rechte der schwarz
und indigenen Bevölkerung in den Staaten einsetzte, als dies noch nicht chic und gesamtgesellschaftlich vorgesehen war, starb 2004 in Los Angeles. Gus Deserpa starb drei Jahre später im Alter von 91 Jahren in Hollister, wo immer noch alljährlich die Motorradveranstaltung stattfindet, die als Ausgangspunkt einer lauten, übermotorisierten Bewegung in die Geschichte einging.
Text: Norman Gocke